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Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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Leib nur mit einem Nachtgewand bedeckt, stürzte sie auf eine vom Feuerschein erleuchtete Gasse, schwankend wie eine Betrunkene. Das Kind an ihrer Seite weinte, und ein Hund lief mit eingezogenem Schwanz hinter ihr her. Nun ließ sich die Alte auf das Pflaster sinken, sprach mit dem Mädchen und untersuchte es nach Verletzungen. Es musste Cristin Bremers Tochter sein. Ein derart niedliches Kind hatte dieses eingebildete Weibsstück gar nicht verdient.
    Noch einmal ließ sie die Ereignisse der letzten Stunden an sich vorüberziehen, und ein Prickeln lief durch ihren Körper.
    Es war einfacher gewesen, als sie gedacht hatte. Als hinter den Scheiben des Hauses endlich kein Licht mehr zu sehen gewesen war, hatte sie sich auf den Hof hinter die Werkstatt geschlichen. Es war ihr wie ein Wink des Schicksals erschienen, das einzige Fenster des an das Wohnhaus grenzenden einstöckigen Gebäudes nur angelehnt vorzufinden. Zum Glück war ihr Leib schlank genug, um sich hindurchzwängen zu können. Im Inneren fand sie nach kurzem Suchen alles, was sie brauchte, um ihr Werk auszuführen. Ein großes Stück Zunderpilz, ein Schlageisen und einen scharfkantigen Feuerstein. Brennmaterial, das Wichtigste, was sie für ihr Vorhaben brauchte, lag genügend in den Regalen. Schon nach wenigen Schlägen des gebogenen Eisens auf die Kante des Feuersteins fielen ein paar glühende Funken auf das Zunderstück und setzten es in Brand. Mit spitzen Fingern hob Mirke es auf, warf es auf einen großen Wollballen und sah zu, wie sich die Flammen weiter ausbreiteten und die farbigen Stoffe ergriffen. Danach war sie, diesmal durch die Tür in der Werkstatt, lautlos wieder verschwunden.
    Sie strich ihren Umhang glatt und heftete erneut den Blick auf die Frau mit dem Kind, die sich nun auf sie zubewegten. Mirke wandte den Kopf ab, als die beiden unweit ihres Versteckes an ihr vorbeistolperten. Immer mehr Schaulustige strömten herbei. Es wurde Zeit zu verschwinden, entschied sie. Morgen würde sie wiederkommen und ihr Werk bei Tageslicht noch einmal in Ruhe begutachten.
    Sie lief die Gasse hinab, Richtung Mariendom. Der Turm des dreischiffigen, von hölzernen Gerüsten umgebenen Kirchenbaus erhob sich hoch in den nächtlichen Himmel. Nun ging Mirke an den stinkenden Wassergräben vorbei, die die ganze Stadt durchzogen und in denen bei Tag zahllose Möwen zwischen Abfällen nach Nahrung suchten.
    In einer eingenähten Tasche ihres Umhanges klimperte es bei jedem Schritt. Fünf Witten zahlte Hinrich, der Wirt, seinen Schankmädchen in der Woche, dazu Kost und Logis. Mirke fuhr sich mit der Zunge über die vollen Lippen. Sie waren trocken. Die Hitze des Feuers hatte die junge Frau durstig gemacht. Es war wirklich an der Zeit zurückzukehren, ehe der Wirt bemerkte, dass ihre Kammer leer stand. Sie stellte sich vor, wie ein guter Schluck Würzbier ihr prickelnd durch die Kehle lief, und lächelte.

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    M inna spürte die Zeichen des nahenden Alters in jedem Knochen. Kämen sie doch nur schneller voran! Schweißperlen rannen ihr die Schläfen hinab und vermischten sich mit ihren Tränen. Schnaufend blieb sie stehen und streckte den schmerzenden Rücken. Außerdem brannte ihr Fuß wie Feuer. Eine schlafende Zweijährige zu tragen, die mit jedem Schritt schwerer zu werden schien, war sie nicht mehr gewohnt. Irgendwann hatte sie Elisabeth auf den Arm genommen, in der Hoffnung, die Kleine möge sich endlich beruhigen, und tatsächlich war sie schließlich vor Erschöpfung eingenickt.
    Minna sah sich um. Linker Hand erkannte sie im schwachen Mondlicht zwischen einer Reihe windschiefer Häuser eine Schänke, aus deren Fenster schwaches Licht auf das Pflaster fiel. Sie lief weiter, den erhitzten Kinderkörper fest an sich gepresst, vorbei an der niedrigen Kaimauer eines Fleets. Das schwärzliche Wasser stank nach den Fäkalien, die die Leute aus den Fenstern ihrer Häuser in den Wassergraben kippten. Ganz in der Nähe schrie eine Möwe, und die Luft roch brackig. Wenn sie sich in dem Gewirr der engen Gassen und Twieten im Kaufmannsviertel rund um St. Catharinen nicht völlig verlaufen hatte, musste sie sich in der Nähe des Nikolaifleets befinden, dessen Wasser der Elbe zufloss.
    Neben sich hörte sie Lump hecheln. Unheimlich war es, mit einem verängstigten Hund und einem Kleinkind ziellos durch die Nacht zu laufen. Nur fort von dem Ort des Grauens, war ihr erster Gedanke gewesen, als sie aus dem brennenden Haus geflüchtet waren. Doch nun, in sicherer Entfernung,

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