Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
will mir helfen, Frieden mit meinen Eltern zu schließen.«
Der Henker wusste aus ihren Erzählungen, dass Mirkes Familie sich von ihr abgewandt hatte, seit ihre Buhlschaft mit Lynhard Bremer bekannt geworden war. Sie sei gewiss in ein oder zwei Wochen zurück, hatte sie versprochen, doch stattdessen war Mirke nach Hamburg gereist. Ein Lübecker Händler war so freundlich gewesen, sie auf seinem Wagen mitzunehmen. Die letzten Meilen musste sie allerdingszu Fuß zurücklegen, weil der Kerl plötzlich die Hand auf ihren Schenkel legte und sie unter ihren Rock schob. Blitzschnell sprang sie vom Kutschbock und lief davon. In der Hansestadt angekommen, fand sie in einer nahegelegenen Schänke eine Arbeit. Frühmorgens trieb siesich in den Gassen und auf den Plätzen herum und hielt dabei immer wieder Ausschau nach der Goldspinnerei der Schimpfs. Doch niemand kannte die beiden. Fast war sie versucht, aufzugeben und zurückzureisen, als ihr vier Tage nach ihrer Ankunft in Hamburg der Zufall zu Hilfe kam.
Auf dem Markt standen Cristin Schimpf und sie sich unvermittelt in einem der Gänge gegenüber, aber ihre ehemalige Herrin war zu beschäftigt, die Waren eines Gemüsehändlers zu begutachten, und bemerkte sie nicht. Rasch wendete Mirke sich ab und zog das Tuch tief in die Stirn. Dennoch folgte sie ihrer ehemaligen Herrin äußerst vorsichtig, bis diese in einer gepflasterten Gasse vor einem zweistöckigen Kaufmannshaus stehen blieb und darin verschwand. Unauffällig sah Mirke sich um und entdeckte schließlich das angrenzende Gebäude, in dem sich die Werkstatt befinden musste. Immer wieder schlenderte sie die Gasse hinab, magisch angezogen von dem Haus, in dem Cristin und ihr Mann wohnten. Was sie wohl an diesem Baldo Schimpf fand? Lukas Bremer, das war ein Mann gewesen, noch besser aussehend als Lynhard, sein Bruder.
Am vergangenen Morgen hatte sie Emmeriks Sohn und einen zweiten, gedrungenen Mann unbemerkt aus einiger Entfernung beim Beladen zweier Pferdewagen beobachtet. Am Nachmittag näherte sich dann ein Wagen der Spinnerei. Ein hochgewachsener Mann mit dunklen Haaren stieg vom Kutschbock und verschwand im Haus.
Weder Kunden noch die Hausherrin selbst hatten die Werkstatt während der gesamten Zeit ihres Wartens betreten. Das war seltsam. Doch sie konnte warten. Zum Glück fand sie hinter der vorspringenden Ecke eines Hauses, kaum einen Steinwurf von den Schimpfs entfernt, ein treffliches Versteck. Dort hatte sie in der feuchten Nacht ausgeharrt, ohne Hunger, Durst oder den klammen Stoff ihres Kleides auf ihrem Leib zu spüren.
Cristin Schimpf – sie würde sich an diesen Namen erst noch gewöhnen müssen – und ihr neuer Ehemann hatten am vergangenen Abend erst spät die Lichter gelöscht.
Nun tauchten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne die Gasse in ein unwirkliches Licht. Mit brennenden Augen starrte Mirke auf die Fenster des Hauses, hinter denen sich eine weibliche Gestalt bewegte. Zwei Männer traten ins Freie . Ein dünnes Lächeln legte sich auf Mirkes Züge. Sie blickte sich nach allen Seiten um. Nein, in ihrem Versteck war sie nahezu unsichtbar. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Männern zu, die soeben eine Kiste in einen der Wagen hievten.Emmeriks Sohn, der bei Lynhards Hinrichtung kräftig Hand angelegt hatte, hatte sie so eigenartig angesehen, neulich auf dem Köpfelberg. Den anderen erkannte sie als den Kerl wieder, der vergangenen Abend angekommen war. Die beiden mussten Freunde sein, das verrieten ihre vertraulichen Gesten.
Die Geschäftigkeit der Männer, die vielen Kisten und Behältnisse, die auf die Wagen geladen wurden, ließen nur eine Vermutung zu: Hier wurden Vorbereitungen für eine längere Reise getroffen. Sollte sie tatsächlich zum rechten Zeitpunkt in Hamburg angekommen sein? Erregung wallte in ihr auf.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und eine schlanke Gestalt, gehüllt in einen Umhang, trat hinaus. Sie ballte die Hände und betrachtete die Frau eingehender. Mirke spie auf den Boden. Cristin Schimpfs rotblondes Haar war nur knapp mit einem Kopftuch bedeckt. Sie sagte etwas zu den Männern und lächelte. Noch einmal drehte sich die Schimpf um, und plötzlich nahm ihr Gesicht einen traurigen Ausdruck an. Sie winkte in Richtung Fenster, dann ging sie auf den Wagen zu, und die drei stiegen auf.
Nachdem die Pferdewagen aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, verzerrten sich die Züge der jungen Frau.
Sie näherte sich dem Gebäude und trat auf
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