Das Gold des Gladiators
Agnellas Raum lag am anderen Ende. Aber auch hier war es ruhig. Nur unten in der Arena schien es zu lautstarken Auseinandersetzungen zu kommen. Ingwar warf einen Blick nach unten und beobachtete, wie die Gladiatrix soeben wutentbrannt auf einen der Kämpfer losging. Worum es bei dem Streit ging, war nicht zu erkennen, aber der Mann bekam einen derart heftigen Schlag ab, dass er in die Knie ging. Mit ihren genagelten Stiefeln trat das Lämmchen ihn ans Kinn, sodass sein Kopf zurückflog. Zwei Ausbilder versuchten, sie festzuhalten, steckten aber auch nur derbe Hiebe ein, und einem knallte sie mit Wucht das Knie zwischen die Beine. Dann trat sie noch einmal dem auf dem Boden liegenden Gladiator ins Kreuz und verließ laut schimpfend ihre Lanze schwingend die Arena.
Ingwar sputete sich. Sie würde zur Waffenkammer gehen müssen, um die Lanze abzugeben, danach kam sie wahrscheinlich nach oben.
Das dritte Zimmer neben dem Nordaufgang war karg, wie alle Quartiere. Eine zerschrammte Truhe, ein gemauertes Bett mit einer nicht sehr sauberen Decke, Wassereimer, Tisch und Hocker und – hier entfuhr Ingwar ein übler Fluch – ein ganzer Haufen Wolfspelze in einer Ecke. Er wollte gerade nach einem greifen, als er das Klappern der genagelten Stiefel auf den Holzstiegen hörte. Hektisch sah er sich um. Flucht war nicht möglich, Verstecke gab es nicht. Nur die Pelze. In fliegender Hast verkroch er sich in der Ecke und zog die Felle über sich. Alle germanischen und römischen Götter flehte er an, Agnella möge nicht gerade jetzt das Bedürfnis haben, sich mit ihren Trophäen zu schmücken.
Die Frau betrat den Raum, warf sich mit einem Grunzen auf das Lager und begann, irgendetwas nach Zwiebeln Riechendes schmatzend zu verzehren.
Ingwar schwitzte.
Er wagte kaum zu atmen, er fürchtete, eines der Fellhaare könnte ihn zum Niesen reizen.
Nach einer Weile hörte das Schmatzen auf, das Lämmchen rülpste herzhaft und murmelte eine Unflätigkeit. Dann ging ihr Atem in ein leises Schnarchen über.
Sehr, sehr langsam und vorsichtig bewegte sich Ingwar unter dem Haufen Fell. Seine Beine waren schon ganz steif geworden. Aber es gelang ihm, sich lautlos zwischen den Pelzen so zu drehen, dass er Sicht auf die Gladiatrix hatte.
Sie lag auf dem Rücken, lang ausgestreckt, und schnarchte.
Hoffentlich hat sie einen tiefen Schlaf, dachte Ingwar, als er sich bedachtsam aus den Fellen wühlte. Es gelang ihm, sich unbemerkt aus dem Haufen zu befreien und zum Ausgang zu kriechen. Hier richtete er sich mit kribbelnden Beinen auf und stolperte auf die nach unten führende Stiege zu.
Titus hatte sich mit Fuscus unterhalten und versucht, von ihm mehr über Globulus zu erfahren. Offenbar waren die beiden Männer wirklich gute Freunde gewesen, denn sie hatten gemeinsam das Schauspiel geplant, das Globulus die Flucht ermöglichte. Der »tödliche« Schwertstreich des Nubiers war knapp an seinem Oberkörper vorbeigegangen, aber eine Fischblase voll Hühnerblut hatte für den Anschein einer dramatischen Wunde gesorgt. Das war der leichtere Teil der Inszenierung gewesen. Danach musste sich Globulus so lange tot stellen, bis die Träger ihn in die Leichenkammer gebracht hatten, wobei der Schiedsrichter durch Berühren mit einem glühenden Eisen prüfte, ob auch wirklich kein Leben mehr in ihm war. Er hatte den Schmerz ohne Zucken und lautlos ertragen. Dann waren zwei Männer gekommen, die so schnell wie möglich den angeblichen Leichnam in ein Tuch wickelten und auf einer Bahre hinaustrugen. Es waren Freunde von Globulus, aus seiner Zeit als Bauarbeiter, die vorgaben, Ausbesserungsarbeiten an den Wänden der Leichenkammer vornehmen zu müssen.
»Wohin haben sie ihn gebracht?«
»Das wollte er selbst mir nicht sagen, Junge, und das ist auch richtig so. Was ich nicht weiß, kann ich nicht verraten. Ihr werdet es schon herausfinden. Der Andabates wird es wissen.«
»Du kennst den Blinden?«
»Nur aus Globulus’ Erzählungen. Sie schätzen einander sehr.«
»Er hat ihm bei einem Unfall das Leben gerettet, nicht wahr?«
»Ja, die Ursache seiner Blindheit. Der arme Mann, er kann froh sein, dass seine Schwester sich so aufopfernd um ihn kümmert. Vor allem, nachdem ihm noch eine weitere Krankheit das Gehör geraubt hat.«
Titus fuhr ein leichter Schauder über den Rücken. Das Schicksal konnte unerwartet und schnell zuschlagen und das Leben auf immer verändern. Es war gut, wenn man dann Menschen hatte, die einem halfen, es trotz aller
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