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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in einem Zeitraum von acht Jahren genau 10.395 Flüchtlinge«, sagte Hörlein gepreßt. »Sie wären alle auf dem Meer elend umgekommen.«
    »Hier demonstrieren 6.000 brave Deutsche gegen zwanzig Vietnamesen. Wenn die erst wüßten, daß schon über 10.000 verteilt worden sind! Hören Sie die Sprechchöre, das ist Volkes Stimme. So ist die Stimmung im Volk! Sie schreiben von Humanität und Christentum, Herr Hess, da hören Sie die Antwort.« Lübbers wies zu den geschlossenen Glastüren. Die Sprechchöre hielten an. »Und ich resümiere: Die Politiker und die Behörden sind nicht die Schlechtesten und Stursten, sie haben nur ein offenes Ohr für die Meinung ihrer Wähler. Ja, auch für den Export unserer Industrie. Und warum leugnen, es geht schließlich um die weitere Vollbeschäftigung von Millionen deutschen Arbeitnehmern.«
    »Wir sollen diese armen Menschen, die um ihr Leben flüchten, also im Meer ersaufen lassen?« rief Hörlein voller Empörung.
    »Wenn Ihr Schiff nicht da unten herumkreuzte, würde keiner etwas davon wissen. Vietnams Probleme können uns nicht belasten.«
    »Es sind Menschen, Herr Lübbers, die dort sterben. Im Meer bisher rund eine halbe Million! Frauen und Kinder.« Hess packte seine Kamera an. »Wie werden Sie auf diese skandalöse Demonstration reagieren?«
    »Gar nicht. Ich werde meine Pflicht erfüllen und die mir zugewiesenen zwanzig Vietnamesen in meinem Kreis ansiedeln.« Lübbers blickte wieder auf seine Armbanduhr. »Darf ich alle Herren in den Ratskeller zu einem Mittagessen einladen? Man hat mir Rouladen empfohlen, die heute ganz besonders gut sein sollen.«
    »Danke, Herr Lübbers.« Hörlein verkraftete seine Enttäuschung nicht so leicht wie Hess. »Wir fahren sofort nach Köln zurück. Ihr Schauspiel ist nicht ohne Wirkung geblieben.«
    »Mein Schauspiel?« Lübbers hob abwehrend die Hände. »Die Kreisverwaltung hat damit gar nichts zu tun. Im Amtsdeutsch hieße das: Das deutsche Volk ist asylmüde. Wissen Sie, wieviel Millionen Fremdarbeiter schon bei uns leben und wie viele von ihnen Sozialfürsorge und Arbeitslosenunterstützung und Mietzuschuß und – und – und bekommen? Es gibt türkische Familien mit zehn und mehr Kindern, die nur vom Kindergeld leben. Wozu arbeiten? Der deutsche Sozialstaat zahlt alles. Nebenbei noch ein bißchen Schwarzarbeit und man ist ein kleiner König gegenüber den Verwandten in Anatolien.« Lübbers gab Hess und Hörlein die Hand. Auch die Parteivorsitzenden verabschiedeten sich mit Handschlag. Sie dachten an die undankbare Aufgabe, in den nächsten Wochen ihre Wähler zu beruhigen.
    »Sie hätten diese Ankündigung nicht zu schreiben brauchen, Herr Lübbers«, sagte Hess zum Abschied. »Wenn die zwanzig Vietnamesen hier angekommen wären, hätten Sie sie unauffällig verteilen können.«
    »Einfach verschweigen? Das ist nicht meine Art, Herr Hess. Ich bin für Offenheit.« Er zeigte wieder zu den Fenstertüren und den Sprechchören vor dem Kreishaus. »Auch wenn das dabei herauskommt! So weiß man wenigstens, wie die Stimmung im Lande ist. Ausnahmen ausgenommen …«
    Auf der Rückfahrt nach Köln – Hess und Hörlein hatten das Kreishaus durch einen Hinterausgang verlassen – lehnte sich Hörlein tief in die Polster zurück. Hess fuhr.
    »Da hat man uns zielsicher in den Arsch getreten«, sagte Hörlein. Seine Stimme klang müde. »Aber gerade darum machen wir jetzt erst recht weiter. Und wir werden trommeln. In Zeitungen, in Illustrierten, in Wochenblättern, im Funk, im Fernsehen. Wenn die Liberty in Hamburg ankommt, soll es ein triumphaler Empfang werden!«
    »Und vor der Weltöffentlichkeit kann man die 243 zuviel Geretteten nicht zurück ins Meer werfen.«
    »Genauso ist es.« Hörlein blickte auf die Autobahn. Es begann zu regnen, ein mieser Herbst war das wieder. »Wir haben noch viel zu tun, Thomas. Unendlich viel zu tun, und wir müssen uns eine Elefantenhaut zulegen, die tausend kleine Stiche aushält.«
    An einem sonnigen Oktobertag, an einem Freitag, fuhr die Liberty of Sea in die breite Elbemündung ein. An Deck standen, dicht gedrängt an der Reling, die Vietnamesen und starrten gebannt auf das Land, das einmal ihre Heimat werden sollte. Sie hatten ihre neuen Jeans oder die alten, weiten, baumwollenen schwarzen Hosen an, blaue oder helle Hemden, alles sauber gewaschen, um dem Gastland keinen schlechten Eindruck zu bieten. Einige ältere Frauen und Männer hatten sich Handtücher über die Schultern gelegt, denn obwohl die

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