Das goldene Ufer
dann auch Walther. »Ihr beide bleibt bei mir. Uns wurde der Gasthof zum Coc d’or als Quartier zugewiesen. Da ich zu einigen Empfängen der hohen Herrschaften geladen bin, könnt ihr euch unterdessen die Stadt ansehen. Macht aber keinen Unsinn!«
Die Warnung galt in erster Linie seinem Sohn, denn Walther erschien ihm noch zu jung, um auf Abwege zu geraten. Der Junge wirkte eher erschreckt, in dieser großen, fremden Stadt bleiben zu müssen, während Diebold von Renitz den Blick neugierig über die geschmückten Häuserfassaden schweifen ließ. Die gute Laune des Fähnrichs schwand jedoch, als sein Vater ihm erklärte, dass er sich mit Walther ein Zimmer teilen müsse.
»Ist das notwendig? Ein Trommelbub ist schließlich nicht meines Standes!«
»Er hat immerhin dafür gesorgt, dass dir der Vater erhalten geblieben ist. Nur seinetwegen kann ich mich in Zukunft der Wahrung und Mehrung unseres Besitzes widmen. Im anderen Fall hätte man deine Mutter und dich um vieles gebracht, was euch als Erbe zusteht.«
Damit war für Medard von Renitz alles gesagt, und sein Sohn begriff, dass er die Entscheidung seines Vaters hinzunehmen hatte.
Im Coc d’or fanden sie ein überfülltes Gasthaus vor. Ein Trupp englischer Offiziere hatte es kurzerhand in Beschlag genommen und weigerte sich, die für Renitz reservierten Zimmer zu räumen.
Der Oberst musterte mit finsteren Blicken die Inselsöhne, deren Ranghöchster als Major diente. »Ich wünsche die beiden Zimmer, die Seine Exzellenz Feldmarschall Blücher für mich und meine Begleitung hat reservieren lassen, auf der Stelle zu erhalten. Ansonsten müsste ich meinen Vetter, Generalmajor von Steinmetz, auffordern, beim Herzog von Wellington schärfsten Protest einzulegen!«
Trotz seiner trüben Stimmung musste Walther sich ein Lächeln verkneifen. Renitz hatte den englischen Major kopiert, der ihnen den Mörder von Giselas Mutter abverlangt hatte. Wie es aussah, waren Engländer für solch aufschneiderische Drohungen empfänglich, denn sie räumten murrend zwei Kammern direkt unter dem Dach. Renitz überlegte, ob er auf bessere Zimmer dringen sollte, sagte sich aber, dass er keine Eskalation riskieren wolle. Außerdem waren sie oben besser vor Diebereien geschützt, die er zwar nicht den englischen Offizieren, dafür aber deren Burschen zutraute. Es war bekannt, dass einige von den Kerlen aus den Gefängnissen des Königreiches rekrutiert worden waren.
»Einer von euch sollte immer zu Hause bleiben«, erklärte Renitz daher seinem Sohn, Walther und seinem Burschen, »denn ich traue diesem Gesindel nicht. Der Krieg hat die Kerle verdorben. Am besten ist es, ihr legt eine geladene Pistole bereit. Kannst du damit umgehen?« Die Frage galt Walther.
Der Junge zog unwillkürlich seinen Tschako vom Kopf, als er angesprochen wurde. »Nein, Herr Oberst, das kann ich nicht.«
»Mein Sohn wird es dir zeigen. Richtet euch jetzt ein. Ich muss mich bei Zieten melden. Wahrscheinlich erhalten wir bald den Abmarschbefehl. Ich werde froh sein, wenn wir die Heimat wiedersehen.«
Der Blick des Obersts verlor sich für einen Augenblick in der Ferne. Dann schüttelte er den Kopf und stieß einen Laut aus, der ein Lachen sein sollte. »Ein paar Tage werden uns schon noch bleiben. Bezieht eure Kammer! Und du, Diebold, legst die falsche Epaulette ab. Es ist nicht gut, mehr scheinen zu wollen, als man ist.«
»Jawohl, Herr Oberst!« Der Fähnrich sah zu Boden, damit sein Vater nicht seine Miene lesen konnte. Die Selbstbeförderung zum Leutnant hatte er nicht zuletzt deswegen gewagt, um an diesem Abend durch Paris streifen zu können, ohne in den Kneipen wie ein lumpiger Fähnrich behandelt zu werden.
Während der Oberst seinen Burschen zu sich rief und in seiner Kammer verschwand, um sich für den Besuch bei seinem Korpskommandeur zurechtzumachen, betraten Diebold und Walther die kleinere Kammer. Zwar gab es keine Betten, sondern nur zwei Strohsäcke, doch während des Feldzugs hatten sie zumeist weitaus schlechter geschlafen.
Der Fähnrich trat ans Fenster. Es war schier unglaublich, dass sie sich in der Hauptstadt eines Feindes befanden, der erst nach einem jahrzehntelangen Ringen niedergekämpft worden war. Die Pariser traten ganz unbefangen auf und verwickelten die fremden Soldaten in Gespräche. Auch schienen es etliche Frauen in gewagten Kleidern direkt darauf anzulegen, Freunde unter den Siegern zu finden.
Diese Frauen stachen Diebold ins Auge. Er war erst fünfzehn, wirkte aber
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