Das goldene Ufer
trostbedürftiger als sie.
7.
D ie Schlacht von Belle-Alliance, wie die Preußen sie nannten, oder die Schlacht bei Waterloo nach der Bezeichnung des Herzogs von Wellington, war die letzte, aber auch die blutigste Schlacht dieses Krieges. Napoleon hatte – so raunten es die Soldaten einander zu – sein Pulver endgültig verschossen. Für die Männer des Regiments Renitz hieß dies, dass sie nach mehr als einem Jahrzehnt voller Feldzüge und Schlachten endlich eine Zeit vor sich sahen, in der sie nicht mehr tagtäglich damit rechnen mussten, gegen einen Feind vorzurücken und sich mit diesem zu schlagen.
Walther und Gisela blieb daher Zeit zu trauern, und sie waren einander der beste Trost, da sie beide das Leid bis zur Neige ausgekostet hatten.
Medard von Renitz’ Gedanken galten ebenso der Vergangenheit wie der Zukunft. Vor vielen Jahren war er als Hauptmann in einem zusammengewürfelten Regiment des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in den Krieg gegen Frankreich gezogen, aber dieses Reichsgebilde existierte schon seit zehn Jahren nicht mehr.
Zwischenzeitlich hatte er als Major in kurhessischen, braunschweigischen und preußischen Regimentern gedient, war als Oberst mit einem Bataillon des Königreichs Westphalen nach Russland gezogen und hatte dort Napoleons Scheitern erlebt. Nach den schweren Verlusten auf jenem Feldzug hatte er sein Regiment auf eigene Kosten neu aufgestellt und sich der preußischen Armee angeschlossen.
Nun fragte er sich, was ihm die Zukunft bringen würde. Er konnte weiterhin als Offizier in König Friedrich Wilhelms Armee dienen, doch nach mehr als fünfundzwanzig Jahren Krieg sehnte er sich nach einem Leben, in dem er nicht mehr nur von Männern in Uniform umgeben war.
Renitz’ Blick streifte seinen Sohn. Auch für Diebold war es besser, wenn er wieder unter andere Menschen kam und dabei einige Unarten ablegte, die er sich in der Armee angewöhnt hatte. Zum Offizier taugte der Junge nur bedingt, daher wollte er ihn studieren lassen, damit er später den eigenen Besitz mit größerer Umsicht führen konnte, als es jetzt der Fall wäre. In diesem Moment gestand Renitz sich ein, dass er sich nach den Fluren seiner Heimat sehnte und nach Gesprächen, in denen es um Rinderzucht, die nächste Ernte und die herbstliche Jagd ging anstatt um militärische Belange.
Als das Regiment seine zugewiesenen Quartiere vor Paris erreichte, stand Renitz’ Entschluss fest, das Soldatenleben so bald wie möglich aufzugeben und all das nachzuholen, was ihm durch den Krieg versagt geblieben war. Mit diesem Gedanken ritt er an der Spitze seines Regiments in Paris ein. Hinter ihm marschierte Walther inmitten der anderen Trommler und Pfeifer, und nacheinander schlossen sich die einzelnen Kompanien an. Es waren nur noch vier, da Renitz die Überlebenden der übrigen Kompanien auf diese verteilt hatte, um sie auf volle Mannschaftszahl zu bringen.
Der Einmarsch in die Hauptstadt des besiegten Feindes ließ niemanden kalt. Jahrzehntelang hatten sie die französischen Truppen fast ungehindert durch ihre Heimatländer ziehen sehen, und das Gefühl der Revanche berauschte sie noch mehr als der Wein, der ihnen in diesem Land kübelweise zugeteilt wurde.
Diebold von Renitz hatte sich herausgeputzt und sich für teures Geld die Epaulette eines Leutnants besorgt, obwohl er noch immer den Rang eines Fähnrichs im Regiment seines Vaters einnahm. Doch an diesem Tag wollte er Türen durchschreiten können, die nur bestallten Offizieren offen standen. Sein Vater bedachte ihn mit einem tadelnden Blick, sagte aber nichts. All das bestärkte den Oberst in seinem Beschluss, dass sich das Leben seines Sohnes in Zukunft anders gestalten sollte.
Das Regiment marschierte jene Straßen entlang, auf denen Napoleon jahrelang Triumphe gefeiert hatte, über die Champs-Élysées zum unvollendeten Triumphbogen und dann an den eigenen Generälen und Kommandeuren vorbei. Walther erhaschte einen kurzen Blick auf den Engländer Wellington und auch auf Feldmarschall Blücher, der so grimmig auf seinem Pferd saß, als gelte es, den Feldzug gegen einen schier unbesiegbaren Feind erst zu beginnen. Kurz danach wurde die Kompanie von den Militärposten der Besatzungstruppen um einen Häuserblock gelenkt und zog wieder stadtauswärts, während andere Regimenter vor den hohen Herrschaften paradierten.
Schließlich übergab Renitz das Kommando über das Regiment dem Hauptmann der ersten Kompanie und winkte seinen Sohn zu sich und
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