Das goldene Ufer
durch seine Größe älter und spürte den Wunsch, hier in Paris seine ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht zu machen. Zunächst schien ihm Walther dabei ein ärgerliches Hindernis. Dann aber sagte er sich, dass er ohnehin keine Frau in diesen Gasthof bringen konnte, wenn er nicht wollte, dass sein Vater davon erfuhr.
Entschlossen wandte er sich dem Jungen zu. »Der Oberst will, dass ich dir beibringe, wie eine Pistole zu handhaben ist. Komm her!«
Walther sah zu, wie der Fähnrich seine Pistole innerhalb kürzester Zeit lud und schussfertig machte. Zuletzt spannte Diebold noch den Hahn und legte spielerisch auf seinen aufgezwungenen Zimmergenossen an.
»Jetzt müsste ich nur noch den rechten Zeigefinger krumm machen, und du wärst tot!«
»Aber dann wärt Ihr ein Mörder«, antwortete Walther mit einer Mischung aus Angst und Empörung.
Lachend legte Diebold die Waffe weg. »Ich müsste nur sagen, die Kugel habe sich beim Reinigen der Pistole gelöst, und die Sache wäre erledigt. Aber du solltest dich jetzt nützlich machen und meine Sachen auspacken. Gib acht, dass du nichts schmutzig machst!«
Die Bemerkung war eine Gemeinheit, denn im Gegensatz zu Diebold hatte Walther sich die Hände am Brunnen unten im Hof gewaschen. Doch blieb dem Jungen nichts anderes übrig, als das Gepäck des Fähnrichs sorgfältig auf das über dessen Strohsack befestigte Brett zu räumen und sowohl die Ersatzhosen wie auch die Felduniform an den hölzernen Haken aufzuhängen, die an der Wand befestigt waren.
Der Fähnrich hatte mittlerweile Gefallen daran gefunden, den Trommelbub als Zimmergenossen zugeteilt bekommen zu haben. Einen eigenen Burschen zu halten, hatte der Vater ihm verboten, aber nun konnte Walther die Aufgaben eines Dieners übernehmen.
»Ich lege mich jetzt schlafen. Wecke mich, wenn die Kirche die sechste Nachmittagsstunde schlägt!« Mit diesen Worten streckte Diebold sich auf dem Strohsack aus, fand dann aber, dass er im Gegensatz zu vielen Nachtlagern im Feld die Stiefel ausziehen konnte, und forderte Walther auf, ihm dabei zu helfen.
Als dies geschehen war, schlief er rasch und mit einem zufriedenen Lächeln ein. Walther hingegen setzte sich auf seinen Strohsack, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und dachte an Gisela. Das Mädchen hatte ebenso wie die Trossweiber des Regiments nicht an der Parade teilnehmen dürfen und saß nun in einem Quartier, in das die Soldaten des Regiments später zurückkehren würden. Gewiss würde sie sich dort einsam fühlen, hatte sie doch zu den anderen Frauen nie Anschluss finden können. Was hätte Walther dafür gegeben, nun bei Gisela zu sein, um diese zu trösten, anstatt mit dem aufgeblasenen Fähnrich mitten in dieser lauten Stadt zu wohnen.
8.
W ie gefordert weckte Walther Diebold von Renitz beim Schlag der sechsten Stunde. Der Fähnrich zwinkerte dem Jungen unternehmungslustig zu. »Ich werde jetzt ein bisschen in die Stadt gehen. Du bleibst hier und passt auf unsere Sachen auf! Nicht, dass etwas gestohlen wird.«
Da Walther den jungen Renitz kannte, stand er auf und nahm Haltung an. »Jawohl, Herr Fähnrich!«
»Dann ist es gut!« Zufrieden steckte Diebold von Renitz den Geldbeutel ein, den er bei Waterloo einem toten französischen Offizier abgenommen hatte, und verließ ohne ein Abschiedswort die Kammer.
Walther war hundemüde, wagte aber nicht zu schlafen, weil der Oberst noch nicht zurückgekehrt war und dessen Bursche seinen Herrn begleitet hatte. Aufgrund seiner Jugend ahnte er nicht, warum Diebold von Renitz in die Stadt gehen wollte, und dachte wieder an Gisela und deren Schicksal. Er konnte nur hoffen, dass Graf Renitz sein Versprechen hielt und sich um die Kleine kümmerte. Er selbst würde, wenn es nicht anders ging, als Trommelbub bei den Soldaten bleiben.
Während Walthers Gedanken sich mit der Zukunft und eher unschuldigen Dingen beschäftigten, stieß Diebold von Renitz noch im Haus auf eine Gruppe englischer Leutnants, die alle mindestens drei Jahre älter waren als er.
»Na, Freund Preuße, wohin des Weges?«, fragte einer mit schleppender Stimme.
Da Diebolds Englischkenntnisse ausreichten, um ihn zu verstehen, deutete er auf die Tür. »Ich will in die Stadt gehen, um was zu erleben.«
»Was für ein Zufall! Dorthin sind wir ebenfalls unterwegs.« Bevor der Fähnrich sich’s versah, hatte der angetrunkene Engländer ihm den Arm um die Schulter gelegt und zog ihn mit sich.
»Es gibt hübsche Weiber hier in Paris, die
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