Das Gottesgrab
fallen zu sehen. Er traf auf eine Felsnase, prallte ab und fiel dann tiefer und tiefer. Sie konnte kaum das Steinmal weit unten auf dem Grund erkennen.
Mustafa erreichte die andere Seite. «Sehen Sie», grinste er. «Kein Problem.»
Gaille schüttelte den Kopf. Das würde sie niemals schaffen. Ihre Beine fühlten sich wackelig an und ihre Knöchel müde. Selbst auf ebenem Grund hätte sie Probleme gehabt. Aber hier oben … Mustafa zuckte mit den Achseln und kam wieder zurück. Gaille wurde schon schlecht, wenn sie ihm nur zuschaute. Er legte eine Hand auf ihren Rücken, um sie zu ermutigen. Vorsichtig setzte sie ihren linken Fuß auf den ersten schmalen Vorsprung und zog den anderen nach. Eine Ewigkeit suchte sie nach einer Stelle, auf die sie ihren Fuß als Nächstes setzen konnte. Ruckartig machte sie einen Schritt, dann einen weiteren. Alles um sie herum begann sich zu drehen und zu verschwimmen. Sie wollte umkehren, konnte sich aber nicht bewegen. Sie schloss die Augen, presste ihren Rücken an die Felswand und breitete die Arme aus, um ihr Gleichgewicht zu halten. Finger und Zehen fühlten sich taub an, ihre Knie drohten einzuknicken. In diesem Moment verstand sie, was mit ihrem Vater geschehen war und welche Rolle Knox dabei gespielt hatte. Ihr kamen die Tränen, als ihr klar wurde, wie sie sich in ihm und in allem getäuscht hatte. «Ich kann das nicht», sagte sie. «Ich kann nicht …»
Mustafa nahm ihre Hand und zog sie in Sicherheit. «Sehen Sie», sagte er grinsend. «Mehr hätte Knox nicht tun müssen.»
Sie sah ihn kopfschüttelnd an und brach keuchend in einer Felsmulde zusammen, von der sie unmöglich fallen konnte. Sie drehte sich auf den Rücken, legte schützend eine Hand über die Augen und wischte die Tränen von ihren Wangen. Die Lebensversicherung ihres Vaters hatte eine hübsche Prämie für einen möglichen Unfalltod enthalten, hoch genug, dass sich Gaille damit eine Wohnung hatte kaufen können. Eine Wohnung! Sie fühlte sich erbärmlich. Erschöpft rappelte sie sich auf und folgte Mustafa auf wackeligen Beinen den langen, stummen Weg hinab.
KAPITEL 32
I
Knox und Rick schienen stundenlang durch den Sandsturm zu fahren. Das ständige Heulen, Quietschen und Tosen zerrte an ihren Nerven. Die Karosserie des Jeeps war einer unablässigen Belastung ausgesetzt. Der Motor wurde immer stärker strapaziert, der Kühler gab ein beunruhigendes Glucksen und Rülpsen von sich. Aber schließlich begann der Sturm abzuflauen, und dann erstarb der Wind von einem Moment auf den anderen vollkommen. Sie hatten es geschafft und waren plötzlich nur noch von offener Wüste umgeben.
Schon vor einiger Zeit waren sie vom Weg abgekommen, und nun war weit und breit nichts von ihm zu sehen. Im Gelände gab es keine Anhaltspunkte, an denen sie sich hätten orientieren können. Zudem hatten sie weder GPS noch eine anständige Karte.
«Weißt du, wo wir sind?», fragte Rick.
«Nein.»
«Und was machen wir jetzt, verdammte Scheiße?»
«Keine Sorge», sagte Knox. Er kletterte auf die Motorhaube des Jeeps und suchte den Horizont mit dem Fernglas ab. Die meisten Menschen hielten die Wüste für eine einzige, flache Landschaft ohne Persönlichkeit oder wiedererkennbare Eigenarten. Doch das war sie nicht. Wenn man ein paar Mal hier draußen gewesen war, merkte man das schnell. Jede Region war anders. Manche Abschnitte der Libyschen Wüste ähnelten den platten amerikanischen Salzwüsten, wo Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt werden. Andere wirkten wie hohe, zerklüftete Meereswellen, die zu Sanddünen erstarrt waren, und auch wenn die Dünen wanderten, waren die Landformationen darunter unvergänglich. Außerdem gab es zahllose Felsen und Bergketten, von denen Knox viele erklommen hatte.
Die Luft war noch dunstig, aber weit im Norden erkannte er einen Steilhang wieder. Eine Fahrt von einer halben Stunde, und sie würden wieder im Geschäft sein. «Wir sollten etwas essen», sagte er Rick. «Und dem Motor eine Pause gönnen.»
Sie setzten sich in den Schatten des Jeeps und spülten kalten Reis und Gemüse mit Wasser herunter, während der Motor knarrend und stöhnend abkühlte. Nachdem sie fertig waren, füllten sie den Kühler auf und machten sich auf den Weg. Wie Knox erwartet hatte, erreichten sie schon bald den Weg und fuhren weiter durch die scheinbar endlose Wüste. Aber sie war nicht endlos. Kurz nach Einsetzen der Dämmerung trafen sie auf eine befestigte Straße, und danach kamen sie schnell voran.
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