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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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seelischen Kummers fällte Pater Thomas Ockham den
Entschluß, den Anfang am Brustkorb zu machen. Aufgrund der
Ausdehnung des Brustkastens konstituierten Einschnitte in diesen Teil
des Corpus Dei eine geringere Entstellung als eine
vergleichbare Verstümmelung an Stirn oder Wangen. Dennoch befand
er sich dabei in keiner Verfassung inneren Friedens. Funktionale
Ethik hatte ihm stets Anlaß zu Bedenken gegeben. Wäre die Valparaíso nicht von der Außenwelt abgeschnitten
gewesen, hätte Thomas erst einmal Rom angefaxt und sich beim
Kardinal nach der offiziellen Haltung des Vatikans zur Deophagie
erkundigt.
    Der Kapitän und seine acht Getreuen setzten mit dem Motorboot Juan Fernández über, tuckerten steuerbords an den
Rippen entlang und legten am aufblasbaren Landungssteg an. Bepackt
mit verschiedenerlei Ruck- und Seesäcken erkletterten sie
mühsam die Jakobsleiter und machten sich, van Horne an der
Spitze, auf den anstrengenden Weg über das Schlüssel- und
südwärts übers Brustbein. Wie übergroße
Gefängnisschlüssel baumelten Töpfe und Pfannen an den
Gürteln des Trüppchens, klapperten den Kontrapunkt zum
donnergleichen Brandungsdröhnen aus den Achselhöhlen des Corpus Dei.
    Endlich erreichten sie den Rand des Brustwarzenhofs, eine
rötliche, gummigleiche Fläche, aus deren Mitte die hohe
Säule der Brustwarze aufragte. Thomas blieb stehen und zog den
Panamahut ab. Er bat seine Gemeinde, Platz zu nehmen. Alle taten es,
auch van Horne; allerdings bewahrte der Kapitän Abstand, hielt
sich abseits im Schatten eines Muttermals.
    Thomas öffnete den Rucksack und packte die geweihten
Altargegenstände aus: Kerzenleuchter, Meßkelch, Ziborium,
Silbertablett und Antependium (letzteres war der Stolz seiner
Sammlung, reine Seide und bedruckt mit den Kreuzwegstationen). Die
Gemeinde erwartete das Sakrament gierig, aber voller Respekt –
ausgenommen van Horne und Cassie Fowler, die beide hochgradig
verstimmt wirkten. Acht Kommunikanten, dachte Thomas mit sinnigem
Lächeln. Mehr als je auf der Valparaíso seine
Messe besucht hatten, sowohl vor wie auch nach Bekanntwerden Seines
Todes an Bord des Supertankers.
    Schwester Miriam langte in ihren Seesack und brachte den Altar zum
Vorschein: einen Funktionale-Ethik-Altar, mußte Thomas
gestehen, denn in Wirklichkeit war es ein Camping-Propangaskocher.
Während Miriam die Aluminiumbeine auseinanderklappte und den
Kocher auf die weiche Oberhaut des Corpus Dei stellte,
breitete Thomas das Antependium aus und schützte es, indem er
die Kerzenleuchter an den Ecken verteilte, gegen den Wind.
    »Kann er nicht schneller machen?« murrte Fowler.
    »Er tut sein Bestes«, fuhr Miriam sie an.
    Sam Follingsbee reichte der Nonne ein elektrisches
Tranchiermesser, Crock O’Conner eine der wasserdichten
Motorsägen, die benutzt worden waren, um in Gottes Ohren die
Trommelfelle aufzuschneiden, und sie gab die Werkzeuge an Thomas
weiter. Im Interesse der Zeitabkürzung beschloß er, die
sonst üblichen Vorbereitungsriten zu überspringen –
die Beweihräucherung und Händewaschung, das Orate
Fratres, die Präfation – und gleich zur Dekonsekration
überzugehen. Da jedoch sah er sich eigentlich vor einer
Schwierigkeit. Der überlieferte Meßritus kannte keinerlei
umgekehrte Transsubstantiation, keine Verwandlung des Gottesleibs ins
tägliche Brot. Vielleicht genügte es, lautete seine
Überlegung, schlichtweg eine umgedrehte Fassung des beim letzten
Abendmahl gefallenen, berühmten Jesusworts zu sprechen: Accipite et manducate ex hoc omnes, hoc est enim corpus meum. »Nehmet hin und esset alle davon, das ist mein Leib.«
Na klar, dachte er. Sicher doch. Warum nicht?
    Thomas kauerte sich nieder. Er riß an der Starterschnur.
Sofort sprang die Motorsäge an, surrte wie eine Hornisse in
einem Horrorfilm. Aus dem Motorgehäuse stoben schwarze
Rauchwölkchen. Mit unterdrücktem Stöhnen senkte der
Priester die Säge, faßte sie fester und zerschlitzte
seinem Schöpfer die Haut.
    Ruckartig hob er die Säge hoch.
    »Was ist los?« keuchte Miriam.
    Es war ganz einfach falsch. Wie sollte so etwas recht sein
können? »Lieber verhungern«, sagte Thomas leise.
    »Tom, du mußt es tun.«
    »Nein.«
    »Tom.«
    Er senkte die Säge ein zweites Mal auf die Haut. Die
Sägezähne fraßen sich hinein, versprühten einen
Strahl rosiger Körperflüssigkeit.
    Thomas zog die Säge heraus.
    »Beeilen Sie sich«, japste Lou Chickering.
    »Bitte«, stöhnte Marbles Rafferty.
    Thomas führte die qualmende Maschine

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