Das Gottesmahl
erneut in die Wunde ein.
Langsam und widerwillig nahm er einen waagerechten Einschnitt vor.
Anschließend sägte er in rechtem Winkel dazu einen zweiten
Schnitt in die Oberhaut; danach einen dritten und vierten Einschnitt.
Er schälte ein viereckiges Stück Epidermis ab, bohrte die
Säge bis ans Motorgehäuse ins Gewebe und schickte sich an,
endlich richtiges Fleisch herauszuschneiden.
»Pleni sunt caeli et terra gloria tua«, rezitierte Miriam während der Vorbereitung des Altars.
Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit. Sie
klaubte ein Streichholz aus einer Schachtel Säkerhets
Tändstickor, entzündete es, legte die Hand um das kostbare
Flämmchen und nahm die rechte Kochstelle in Betrieb. »Hosanna in excelsis!« Hosanna in der Höhe! In
stummer Übereinkunft, fiel Thomas auf, hatten sie sich für
ein ziemlich feierliches Zeremoniell entschieden: Eucharistie alten
Stils, mitsamt Latein und allem Drumherum.
Der Nebel zischte, als das Glas aufflammte. Miriam ergriff
Follingsbees original westfälische Schmiedeeisen-Bratpfanne (36
cm Durchmesser) und setzte sie auf die Flamme.
»Meum corpus enim est hoc«, murmelte Thomas,
profanisierte das Gewebe, während er es schon zerschlitzte und
zerschnitt, »omnes hoc ex manducate et accipite.« Sobald träge eingedicktes, magentarotes Blut hervorquoll,
eilte Miriam mit dem Meßkelch herbei, kniete sich hin und fing
es in dem Gefäß auf. »Omnes eo ex bibite et
accipite«, fügte der Geistliche hinzu, entzog dem Blut
die Heiligkeit. Beharrlich sägte er drauflos und löste zu
guter Letzt einen eineinhalb Kilo schweren Streifen Fleisch
heraus.
Es mußte sein. Es gab keine andere Möglichkeit. Wenn er
es nicht tat, erledigte es van Horne.
Er schaltete die Motorsäge ab, trug das Fleisch zum Altar und
legte es in die handgeschmiedete Bratpfanne. Es brutzelte, ihm
entflossen rosige Säfte. Ein herrlicher Duft stieg aus der
Pfanne, das köstliche Aroma angebratener Göttlichkeit, und
Thomas lief das Wasser im Mund zusammen.
»Endlich«, kommentierte Cassie Fowler mißmutig.
»Na endlich.«
»Geduld«, knurrte Miriam.
»Christus auf Krücken…«
Sechzig Sekunden vergingen. Thomas packte den Bratenwender und
drehte das Filet um. Es kam auf den richtigen Augenblick an: Das
Fleisch mußte lange genug erhitzt werden, um die pathogenen
Stoffe abzutöten, hingegen nicht so lange, daß die Hitze
das wertvolle Eiweiß zerstörte, nach dem ihre hungrigen
Mägen schrien.
»Was denn nun noch?« schnob van Horne.
»Das Brechen des Brotes«, informierte ihn Miriam.
»Scheißen Sie drauf«, verlangte er.
»Eher scheißen wir auf Sie«, erwiderte die
Nonne.
Thomas schob den Bratenwender unters Fleisch und legte es aufs
Silbertablett. Er holte tief Luft, schaltete das
Elektro-Tranchiermesser ein und teilte das große
Fleischstück in neun gleiche Portionen, jede vom Umfang einer
Kokosmakrone. »Haec commixtio«, sagte er, trennte
von seinem Anteil ein winziges Fetzchen ab, »corporis et
sanguinis Dei« – er schlug mit dem Stückchen das
Kreuzeszeichen überm Kelch und ließ es hineinfallen – »fiat accipientibus nobis.« Diese geheiligte
Mischung von Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus gereiche uns
bei ihrem Empfange zum ewigen Leben. »Amen.«
»Ziehen Sie’s doch nicht derart hin«, schnaufte
Fowler.
»Das ist Sadismus«, klagte van Horne.
»Wenn’s Ihnen nicht gefällt«, riet Miriam,
»treten Sie doch ’ner anderen Kirche bei.«
Thomas klemmte seine Portion zwischen Daumen und Zeigefinger
– in der Handfläche fühlte er klebrige Wärme
– und hob sie an die Lippen. Er öffnete den Mund. »Perceptio corporis tui, Domine, quod ego indignus sumere
praesumo, non mihi proveniat in condemnationem…« Der
Genuß deines Leibes, Herr Jesus Christus, den ich
Unwürdiger zu empfangen wage, gereiche mir nicht zum Gericht und
zur Verdammnis… Er schlug die Zähne in den Braten.
Gemächlich kaute er und schluckte. Der Geschmack verdutzte ihn.
Erwartet hatte er eine unverkennbar hochwertige
Hautgout-Qualität – wie Lammrücken vielleicht, oder
zartestes Kalb –, doch statt dessen wurde er an Follingsbees Art
des Hamburgers erinnert.
Da jedoch ging dem Priester ein Licht auf: Ja, natürlich,
dachte er einsichtig. Gott war der Gott jedes Menschen gewesen. Er
hatte unter den Fastfood-Menschenmassen geweilt, den vielen
übergewichtigen Müttern, die Thomas ständig in der
Bronxdale Avenue bei McDonald’s sah, wo sie ihre feisten
Sprößlinge mit
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