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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Das Tier hatte einen haarigen,
segmentierten Körper: kein echter Wurm, erkannte Cassie, sondern
die Larve irgendeines mexikanischen Falters. »Frisch aus
Oaxaca«, fügte van Horne hinzu.
    »Ja… Ja. Gut.«
    Sachte schob er ihr Kaspar in den Mund. Cassie saugte, griff auf
den ältesten aller Überlebensreflexe zurück, lutschte
an den Fingern des Kapitäns, feuchtete die Larva ein.
Zufriedenheit strahlte aus seiner Miene, eine Erfüllung, die man
sonst nur Müttern beim Stillen ansah. Nicht übel für
einen Mann, dachte Cassie, den angesichts der Schwangerschaft seiner
Freundin die Panik gepackt hatte. Sie mahlte mit den Kiefern. Kaspar
zerfiel. Er hatte einen herben, scharfen Medizingeschmack, ein
Gemisch aus purem Meskal und Lepidoptera- Eingeweiden.
    »Wiederholen Sie mal, was Sie vorhin gesagt haben«, bat
Cassie. »Über mich… Wie haben Sie’s
ausgedrückt? Ich sei ›eine wundervolle,
attraktive…‹«
    Er fütterte sie mit Melchior. »Eine unglaublich
attraktive…«
    »Ja.« Sie verzehrte die Larve. »Genau das meine
ich.«
    Nun war Balthasar an der Reihe. »Ich halte Sie für eine
unglaublich attraktive und ganz wunderbare Frau«, gestand
Anthony van Horne ihr zum zweitenmal am selben Tag.
    Während Cassie kaute, überkam sie ein leichtes
Gefühl des Wohlbehagens, zwar nur flüchtig, aber real.
Kölner Weizenmehl, Du-darfst-Käse, Oaxaca-Würmer. Sie
leckte sich die Lippen und dämmerte in Schlummer hinüber.
Es gab es keinen Glauben an Bord der Karpag Valparaíso, ebensowenig Hoffnung, für den Moment jedoch zumindest
Güte.
     
    Was auch der Grund für die Verspätung der noch immer
nicht in den arktischen Gewässern angelangten Valparaíso sein mochte, Oliver konnte schwerlich
übersehen, daß die Zweiter-Weltkrieg-
Militärdrama-Gruppe aus der Verzögerung erheblichen Gewinn
schlug. Infolge des Vertrags, den die Philosophische Liga für
moderne Aufklärung e. V. mit Pembroke & Flume
abgeschlossen hatte, erhielt jeder Seemann, Pilot und Bordfunker
für jeden Diensttag an Bord des Flugzeugträgers »volle
Kriegszustandsbezüge.« Nicht daß die Männer es
nicht verdient gehabt hätten. Ihre Befehlshabenden scheuchten
sie rund um die Uhr umher, als wäre wirklich ein Krieg in Gang.
Trotzdem verspürte Oliver einen gewissen Mißmut. Sein
Geld, hatte er das Empfinden, übte die gleiche Wirkung wie
Cassies üppiger Busen aus. Während ihrer gesamten
Hochschulzeit hatte sie nie genau gewußt, warum man sie dauernd
um Rendezvous ansprach – oder vielmehr, sie ahnte es, und
war deswegen verdrossen gewesen. Ein Mensch sollte danach beurteilt
werden, lautete Olivers Standpunkt, was er anderen an
Mitmenschlichkeit bieten konnte, nicht nach dem, was er hatte.
    Der untersetzte, freundliche Mann, der Oberstleutnant Wade
McClusky verkörperte, den Kommandeur des
Marineflieger-Geschwaders 6, ließ beide Staffeln täglich
zwei Übungseinsätze fliegen, bei denen sie die Eisberge des
Troms0-Fjords mit Holzbomben und Styropor-Torpedos angriffen. Zur
gleichen Zeit sorgte der Mann, der den Kapitän des
Flugzeugträgers spielte, ein stämmiger Ire mit
Lenkstangen-Schnauzbart, unerbittlich dafür, daß seine
Untergebenen das Flugdeck vollständig schnee- und eisfrei
hielten, selbst wenn die Bordflugzeuge keine Übungsflüge
durchführten. Für Kapitän George Murrays
schwergeprüfte Matrosen gestaltete sich der Dienst an Bord der Enterprise wie das Leben in einer in der Hölle
angesiedelten Vorstadt, wo die Zufahrt zum Haus 180 m lang war
und sogar mitten im Sommer Schnee geschaufelt werden mußte.
    Eine Stunde nach Beendigung des neunzigsten PBY-Erkundungsflugs,
dem es abermals mißlungen war, die Valparaíso zu
sichten, wurde Oliver von Pembroke und Flume in ihre Kabine gebeten.
Im Zweiten Weltkrieg hatte diese geräumige Bleibe als
Offiziersmesse fungiert, aber die Militärdrama-Veranstalter
hatten sie in eine Zweibettunterkunft umbauen lassen, deren Interieur
im Gemeinschaftszimmer gewisse Anleihen beim spätviktorianischen
Repräsentationsbedürfnis machte.
    »Die Mannschaft wird zappelig«, sagte Albert Flume zur
Eröffnung des Gesprächs, während er Oliver zu einem
Plüschdiwan führte, der an das Möbelstück auf
Delacroix’ Gemälde Odaliske erinnerte.
    »Unsere Piloten und Bordfunker drehen fast durch.«
Sidney Pemproke wickelte die Neuauflage eines Baby-Ruth-Schokoriegels
ungefähr des Jahres 1944 aus dem Papier. »Wenn nicht bald
etwas geschieht, das ihre Moral hebt, kommen sie uns

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