Das Grab der Königin
auf der Kuppe des Hangs. Noch gelang es uns nicht, den Blick nach vorn zu werfen, wo sich das Zentrum der Tempel-Stadt befand.
Ein Gewirr von Säulen, Mauern und Pfählen nahm uns den Blick. Jenna war bereits jetzt fasziniert. »Marib«, hauchte sie, »die alte Stadt Marib. Sie kommt mir vor wie ein Geliebter, den ich all die Jahre gesucht und endlich gefunden habe.« Zärtlich strich sie mit den Fingerspitzen über das alte Mauerwerk, als wollte sie es zur Begrüßung streicheln und kundtun, welch eine Sympathie sie mit dieser Stadt verband. Wir hüteten uns, darüber zu lächeln. Suko und ich hätten bestimmt nicht anders gehandelt.
Mein Partner hatte schon Deckung gefunden. Die Beretta hielt er in der Rechten. Wir wußten, daß uns Wölfe auflauerten. Bestimmt waren sie als Wächterausgeschickt worden.
Noch etwas nahmen wir wahr.
Weiter vorn und auch etwas tiefer gelegen, lag eine riesige Lichtinsel. Zu vergleichen mit einem hellen Teppich, dessen Strahlen nicht in den Himmel hineinstiegen, sondern auf dem Boden blieben. Wie eine geheimnisvolle Botschaft von einem fremden Stern, der sich anschickte, seine Bewohner auf die Erde zu senden.
In der nächtlichen Wüste wirkte jedes Licht, egal von welcher Farbe, stets anders als in der uns bekannten Dunkelheit. Hier sahen wir es viel heller und klarer, denn auch Staub und Sand bildeten keine Wolken mehr.
Etwas huschte schräg vor uns durch eine Lücke zwischen zwei Säulen. Der Schatten war langgestreckt und bewegte sich schnell — ein Wolf!
Suko wollte schießen, er hatte den Schatten ebenfalls wahrgenommen, doch ich hob die Hand. »Nein, nicht, keinen Schuß.«
Ich griff bereits nach dem Dolch, ließ mir vielleicht etwas viel Zeit, denn die Bestie griff an. Sie hatte sich ausgerechnet das schwächste Glied ausgesucht — Jenna Jensen!
Ihr blieb der Schrei im Hals stecken, als der Wolf auf sie zuhechtete. Ich startete sofort. Bevor das Tief seine Zähne in Jennas Körper schlagen konntne, prallte ich gegen den Körper. Ich brachte ihn aus der Sprungrichtung und kam mir vor wie Tarzan in seinen besten Zeiten. Gemeinsam wuchteten wir in den Staub. Nur hatte ich es besser, ich lag auf ihm. Und ich hatte den Dolch.
Mein rechter Arm beschrieb einen Halbbogen, dann fand die lange Silberklinge ihr Ziel.
Sie drang durch das Fell. Blut strömte aus der Halswunde, ich drückte meinen Kopf zurück, sprang auf die Füße und ging zurück. Der Wolf versuchte sich aufzurichten. Er wollte es einfach nicht wahrhaben, daß sein Leben zu Ende war.
Er schaffte es nicht.
Schwerfällig sackte er wieder zusammen, und ich holte tief Luft. Das war geschafft.
Suko nickte mir zu. Mit schußbereiter Waffe hatte er mir den Rücken freigehalten.
»Keiner mehr in der Nähe, alles klar.«
Jenna trat auf mich zu. »Danke, der hätte mich erwischt.«
»Schon gut, Mädchen.« Ich strich über ihre Wange. »Das war der erste.«
Ein zweiter erschien nicht, denn wir konnten ungehindert unseren Weg fortsetzen und dorthin gehen, wo die Reste allmählich niedriger wurden und uns den freien Blick nicht mehr versperrten.
Jenna hatte es eiliger als wir. Sie spürte, daß wir ganz dicht davorstanden.
Abrupt blieb sie stehen. Und genau an dem Punkt, wo wir endlich frei schauen konnten.
Es war gewaltig und einzigartig. Damit hätte ich selbst in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet.
Wir schauten in eine weite Mulde, wo wir ebenfalls noch große Säulen und Mauern sahen. Das aber war nicht alles, denn in dieser großen Mulde gab es — und tiefer gelegen — ein Zentrum, zu dem von verschiedenen Seiten her vier breite Treppen hinabführten. Genau dieses Zentrum hatten wir gesucht und gefunden. Das Grab der Königin von Saba!
***
»Nein, Morgana Layton, du wirst den Gral nicht zerstören — du nicht, Wölfin!«
Morgana stand da, ohne sich zu rühren. Ihr Fell schien versteinert zu sein. Sie hielt den Dunklen Gral fest, als wäre er ihr einziger Rettungsanker und lauschte der Stimme nach, deren Sprecherin sie nicht erkennen konnte.
Wo verbarg sich die Person?
Eine Frau hatte geredet, das konnte nur die Königin von Saba gewesen sein, eine lebende oder lebendige Königin, die in ihrem Grab lag und nicht gestorben war.
So und nicht anders mußte die Lösung lauten!
Morgana wartete ab. Als sich nach einigen Sekunden nichts tat, ließ sie die Arme sinken, und mit ihnen sank auch der Dunkle Gral dem Boden entgegen. Er war ein schweres Gefäß. Sie würde sein Gewicht nicht halten
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