Das Grab des Salomon
Freitagabend. Er schaute zu den verschmierten Fenstern des Klubs. Dunkel.
Josh rieb sich die Augen. Das Nachhausefahren wurde zu sehr zur Routine, er schien es bereits halb im Schlaf zu tun. Das war nicht gut. Erst nachdem er auf die Hauptstraße gefahren war, fiel ihm ein, dass er noch einen Film vom Verleihregal mitnehmen wollte. Aber nein, es schien besser, nach Hause zu fahren und Schlaf nachzuholen.
Peter Quinn beobachtete, wie der Wagen wegfuhr. Er zeichnete sich als Silhouette vor den erhellten Fenstern des Klubs ab. Sein behutsames Vortasten in den Kopf des Geschäftsleiters bei den Gelegenheiten, bei denen sie miteinander gesprochen hatten, hatte sich nun bezahlt gemacht. Laut Manny Paulson standen er und der neue Pastor sich nahe. Und jetzt schnüffelte der Junge herum. Zweifellos um etwas über Art Dinneck zu erfahren. Und nicht zum ersten Mal.
Ihn zu kontrollieren, wurde jedes Mal einfacher. Peter hatte das Gefühl, er würde sich eines Tages als nützlich für ihn erweisen. Vielleicht. Jedenfalls schadete es nie, sich Möglichkeiten offen zu halten.
Kapitel Dreiundzwanzig
Elizabeth O‘Brien betrachtete sich erneut im Spiegel über dem Kaminsims, schob eine lose Strähne zurück an ihren Platz und löste dabei unweigerlich drei weitere. Es war zwecklos. Die einzige Möglichkeit, dem Gewirr auf ihrem Kopf einen Anschein von Ordnung zu verleihen, bestand darin, es zurückzubinden. Allerdings würde sie sich den Haargummi zweifellos lange vor dem Ende des Abends entnervt herunterreißen. Ihre widerspenstige Mähne würde ihr ins Gesicht fallen und ins Essen hängen. Sie würde einen wirklich tollen Eindruck hinterlassen.
Zum wiederholten Male fragte sie sich, weshalb es sie kümmern sollte. Fünfeinhalb Jahre lang hatte er keinen Brief, keine E-Mail und keine Weihnachtskarte geschickt. Sie natürlich auch nicht. Dass Nathan zurück in der Stadt war, hatte sie von Mrs. Conan und durch einen Anruf von Josh Everson erfahren. Den ganzen Dienstagvormittag war sie in Erwartung des unvermeidlichen Aufeinandertreffens wie auf Nadeln umhergelaufen. Als sie an Mrs. Conans Zimmer vorbeiging und Nate an ihrer Bettkante sitzen sah, wollte sie anfangs umdrehen und sich im Pausenraum verstecken.
Dann aber hatte sie seine Stimme gehört, jene Stimme, die sich immer noch so sehr nach Geborgenheit anhörte. Sie hatte innegehalten und ihm bei der Arbeit gelauscht. Natürlich hatte er aus der Bibel gelesen. Er las immer daraus.
Elizabeth beneidete ihn um seinen unerschütterlichen Glauben, zugleich jedoch frustrierte es sie, wie sinnlos dieser war. Sie hatte ihre Überzeugungen nur ein einziges Mal vor sechs Jahren überdacht, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben gebetet hatte. Davor hatte sie es nie als notwendig empfunden, Nates Gott um etwas zu bitten. Selbst in jener Nacht, als sie sich erschöpft auf das Krankenhausbett ihrer Mutter gestützt hatte, hatte sie das Gefühl gehabt, ihr Gebet lediglich den Wänden zuzuflüstern. War es so viel gewesen, was sie verlangt hatte? Ihr Vater war bereits verstorben gewesen. Nur ihre Mutter war ihr geblieben gewesen. Nate hatte immer nur kurz für sie Zeit gehabt, bevor er zur Schule zurückgekehrt war. Natürlich würde er im Fall des Todes ihrer Mutter nach Hause kommen, aber nicht bleiben. Seine Pläne, Geistlicher zu werden, waren von jeher stärker als das gewesen, was Elizabeth und er miteinander gehabt hatten. Das konnte sie nicht leugnen.
Im Sommer nach der Beerdigung – nachdem ihr Flehen ignoriert und ihre Mutter von ihr genommen worden waren –, saß sie in seinem Zimmer, während er für die Abreise zu seinem Abschlussjahr packte. Dabei dachte sie: Es ist Zeit für eine Veränderung . Nate wusste, dass sie sich alleine fühlte, dass sie ihn brauchte, dennoch packte er seine Sachen, um einem Gott zu dienen, der keinen Gedanken an sie verschwendete. Und dann besaß Nate auch noch die Unverschämtheit , sie aufzufordern, in seine Kirche zu kommen.
Nachdem sie in jener Nacht in ihr verwaistes Haus zurückgekehrt war, hatte sie geweint, da sie gewusst hatte, dass es vorbei war. Eine lange Zeit danach hatte sie die Einsamkeit zu stark gespürt. Sie hatte ihren Vater, ihre Mutter und Nathan Dinneck für immer verloren. Immer wieder kam ihr der Gedanke, dass es eigentlich nichts mehr gab, wofür es sich zu leben lohnte, dass sie es eigentlich ebenso gut beenden, sich aus dem Dasein davonstehlen könnte. Wenn die Anhänger der New-Age -Bewegung Recht hatten, würde
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