Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
silbernen Haaren und seiner Sonnenstudiobräune sah er gut aus, das musste ich zugeben. Äußerlich.
»Das ist genau der Grund, warum ich Dr. Corcoran gebeten habe, die Revision dieses Falls zu leiten«, sagte Walczak.
Corcoran rutschte verlegen auf seinem Stuhl hin und her. »Dr. Brennan und ich werden sehr gerne alle Fragen beantworten, die meine Ermittlungen, ihre Untersuchung der Überreste und den Befund des Coroners betreffen«, sagte Ryan. »Ausgezeichnet. Dann übergebe ich diese Besprechung nun an Mr. Schechter und Dr. Corcoran. Bitte sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas, irgendetwas, brauchen.«
Mit einem bedeutungsvollen Blick in Corcorans Richtung verließ Walczak das Zimmer.
»Es freut mich sehr, dass Sie Englisch sprechen, Detective.« Ein leichtes Anspannen der Haut um Ryans Augen verriet, dass Schechters erste Bemerkung bei ihm nicht gut ankam. »Mais oui, monsieur.« Ryans Akzent war eine Überdosis Paris. »Mr. Jurmain verlangt eine Klärung diverser Punkte.« Schechters Ton wies darauf hin, dass Ryans Humor nicht gewürdigt wurde.
»Klärung?« Ryan setzte cool gegen cool. »Er ist sehr besorgt.«
»Sie haben Kopien unserer Berichte?«
Schechter zog einen gelben Notizblock, einen goldenen Cross-Kugelschreiber und einen großen, weißen Umschlag aus seinem Aktenkoffer. Ich erkannte das Logo des Umschlags und die Wörter LAboratoire de sciences judiciaires et de médicine légale.
»Dr. Brennan und ich haben Fundort- und Autopsiefotos vorbereitet, anhand derer wir Sie durch die Ermittlungen führen wollen.«
Schechter klickte die Minenspitze aus seinem Kuli und machte mit der anderen Hand eine herrische Geste.
Ryan warf mir einen französischen Satz zu. »Lass uns diesen hochnäsigen Wichser in Grund und Boden klären.«
»Certainement«, stimmte ich ihm zu.
Ich schloss meinen Laptop an den Projektor an, öffnete PowerPoint, wählte eine Datei mit dem Namen LSJML 44893 aus und doppelklickte auf ein Bild. Eine Weitwinkelansicht der L'Auberge des Neiges füllte die Leinwand. Gebaut aus Redwood-Stämmen und mit geschnitzten Balkonen und Fensterrahmen sah der Gasthof aus wie direkt aus einer Volksmusiksendung.
Corcoran gab mir den Laserpointer. Ryan begann.
»Ms. Jurmain checkte am zwanzigsten September in der L'Auberge des Neiges ein, nachdem sie bereits vorab für zwei Wochen reserviert hatte. Am dreiundzwanzigsten September erzählte sie anderen Gästen, sie wolle am folgenden Tag eine Wanderung unternehmen.«
»Und diese anderen Gäste sind?«, fragte Schechter. Ryan schaute in seine Notizen.
»John William Manning aus Montreal. Isabelle Picard aus Laval. Laut Manning und Picard wirkte Ms. Jurmain an diesem Abend angetrunken und hatte im Verlauf dieser drei Tage bei mehreren Gelegenheit so gewirkt.«
Ryan schob mehrere Blatt Papier über den Tisch, Zusammenfassungen der Vernehmungen des Personals und der Gäste des Gasthofs, wie ich annahm.
Corcoran überflog die Seiten nur kurz. Schechter nahm sich Zeit mit der Lektüre. Dann sagte er:
»Die sind ja auf Französisch abgefasst.«
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung.« Ryans Tonfall war so weit von entschuldigend entfernt, wie ein Tonfall es nur sein konnte.
Schechter machte in seiner Kehle ein nicht entschlüsselbares Geräusch.
Ich schaltete zu einer Distanzaufnahme von Roses Zimmer. Es zeigte einen Flickenteppich, lackierte Kiefernmöbel und ein Überangebot an rosa Chintz mit Blumenmuster. Ein Koffer stand geöffnet auf einem kleinen Sofa, daraus quollen Kleidungsstücke hervor wie Lava aus einem schläfrigen Vulkan.
Ich schaltete zu einem Foto auf dem Nachtkästchen, dann zu einer Großaufnahme der Etiketten von fünf kleinen Tablettenfläschchen. Oxycodone. Diazepam. Temazepam. Alprazolam. Doxylamin.
Ich deutete mit dem Laserpointer. Während der kleine rote Punkt von Fläschchen zu Fläschchen sprang, nannte Corcoran Schechter die generischen Namen der Medikamente.
»Das Schmerzmittel OxyContin, die Angstlöser Valium und Xanax und die Schlafhilfen Restoril und Unisam.«
Schechter sog Luft durch die Nase ein und atmete langsam wieder aus.
»Wenn Rose sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war nicht mehr mit ihr zu reden. Immer ging sie in den Wald. Vor drei Jahren passierte es in Quebec.« Er sagte Quiebeck mit dem Abscheu, den man sonst höchstens für »Mundfäule« oder »Darfur« aufbot. »Obwohl es« – er hielt inne, um nach dem angemessenen Ausdruck zu suchen – »mit ihrer Gesundheit nicht zum Besten
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