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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Ink
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dem Hund übrig war. Er lebte noch, allerdings glaube ich, dass er lieber tot gewesen wäre. Die Seite des Tiers, die Kontakt zum Untergrund hatte, war halb aufgelöst. Zähflüssiges Fleisch troff herab und versickerte in Ritzen zwischen den Steinen. Haut, Muskeln und Fett waren förmlich weggeschmolzen. Ich sah Knochen, die nur noch über Sehnen miteinander in Verbindung standen. Die gesunde Hälfte des Hundes zitterte, die Brust hob und senkte sich hektisch. Ein schrilles Winseln entwich dem zerstörten Maul.
    Zu sagen, ich hätte Boxer nie gemocht, wäre eine Untertreibung. Dennoch hätte ich ihm niemals dieses unsägliche Schicksal gewünscht. Kein Lebewesen sollte solche Qualen erdulden müssen.
    Er musste nicht mehr recht bei Sinnen sein, denn als sich Mrs. Pickman über ihn beugte, schnappte er nach ihr. Mehrere Zähne brachen ab, fettiger Schleim flog durch die Luft. Mit der unversehrten Kieferhälfte riss Boxer der Alten ein großes Stück Fleisch aus der Wange. Ehe ich auch nur aufschreien konnte, hatte er die Fänge tief in die Schulter der Alten gegraben. Sie kreischte und fiel nach hinten, ein weiterer entsetzlicher, rottriefender Brocken verblieb in Boxers Maul. Ich wollte sie auffangen, als ich aus dem Augenwinkel sah, wie sich hinter uns die Zugbrücke schloss. Das Ding hatte uns den Hund nie zurückgeben wollen – es hatte uns in eine Falle gelockt!
    Mit dem Mut der Verzweiflung sprang ich zu Mrs. Pickman, wich Boxers Fängen aus und schleifte die Alte zurück zum Tor. Nur ein Spalt war noch frei, wir hatten allenfalls Sekunden. Ich warf Mrs. Pickman hinunter und sprang selbst hinterher. Einer meiner Schuhe blieb in der schmalen Lücke hängen. Ich überschlug mich in der Luft und landete auf Kopf und Schultern. Während alles in Schwärze versank, hörte ich das Ding donnern:
     
    DNGKD! KEJ YCTVG UEJQP UQ NCPIG CWH FKEJ! FW DKUV FGT UGPFGT!

- Eine Warnung und eine Geiselnahme -
     
    »Ihr Schädel muss aus Granit sein, bei all’m, was er schon überstand’n hat. Aber hier nützt Ihnen das auch nichts mehr.«
    Die Worte klangen lallend und angestrengt, als habe der Sprecher einen Stein im Mund. Ich schlug die Augen auf und schrie, als ich die Fratze erblickte. Wo einmal Mrs. Pickmans linke Gesichtshälfte gewesen war, befand sich nun ein rotes Trümmerfeld, durchsetzt mit Sehnen, Muskelsträngen, Zähnen und einer leeren Augenhöhle. Der Blutverlust war enorm; während ich die Frau anstarrte, strömte ein warmes Rinnsal auf mich herab. Mir war sofort klar, dass sie unter Schock stehen musste. Kein Mensch konnte solche Verletzungen davontragen, ohne vor Schmerz wahnsinnig zu werden.
    »‘s hat uns gekriegt. Wir war’n in ihm drin, und nun hat’s uns verschlungen.«
    Mich packte das Grauen, als sich die Zahnstummel innerhalb der Masse bewegten. Unter Aufbietung aller Kräfte riss ich den Blick von Mrs. Pickman los, stemmte mich auf die Ellbogen und sah mich um.
    Der Nebel hatte sich etwas gelichtet und enthüllte einen Pfad voller Geröll, spärlichen grauen Pflanzenbewuchs sowie eine verkrüppelte Kiefer, die sich stur an den kargen Boden klammerte.
    »Sie haben … mich bis hierher geschleift?«
    Meine Zunge war schwer. Jede Silbe dröhnte zwischen den Ohren und die kleinste Körperbewegung war unglaublich anstrengend. Wenn ich mich nicht konzentrierte, sah ich alles in verstörenden Doppelbildern. Etwas klebte in meinem Gesicht. Ich wischte darüber und bemerkte, dass mir Blut aus einem Nasenloch rann. Wenn man bedenkt, wie oft ich innerhalb kürzester Zeit und aus den unterschiedlichsten Gründen das Bewusstsein verloren hatte, musste ich mich wohl trotz allem glücklich schätzen.
    »Ja, ja!« Als ich wieder zu Mrs. Pickman emporstarrte, tat sich in der zerstörten Wange ein zahngespickter Spalt auf. Sie lächelte. »Fortgeschleppt von dem Ding. Weg, nur weg. Aber ‘s hat uns trotzdem, wir sind so oder so verlor’n!«
    Ein rhythmischer, gurgelnder Laut folgte. Ich glaube, sie stand so sehr neben sich, dass sie tatsächlich zu lachen versuchte. »Kommen Sie, Mister! Lassen Se uns weiter sinnlos flieh’n!« Sie stand auf, drehte sich um und wandte mir endlich die gesunde Seite ihres Gesichts zu. Weit kam sie nicht. Bereits nach wenigen Schritten verdrehte sie die Augen und sank zu Boden, als wäre sie eine Marionette, der man die Fäden gekappt hatte. Sie schlug hin und blieb reglos liegen.
     
    ***
     
    Ich kann nicht genau sagen, wie ich es zurück zum Dorf schaffte. Mein Verstand war

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