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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Ink
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könnten wir es so von uns selbst fernhalten. Möglicherweise fühlte ich auch so etwas wie Schuld. Obwohl ich Mrs. Pickman nie vergeben würde, was sie mir am Abend zuvor angetan hatte, ergriff mich Mitgefühl angesichts ihrer Verzweiflung. Schließlich mag auch meine chronische Wissbegier eine Rolle gespielt haben. Was auch immer den Ausschlag gab, es sorgte dafür, dass ich der Alten hinterherschlich.
    Es war nicht einfach, sich leise zu verhalten, denn mein Körper wollte mir noch nicht vollständig gehorchen. Immer wieder strauchelte ich und musste befürchten, ein verräterisches Geräusch zu verursachen. Wie zum Ausgleich war das Wetter auf meiner Seite. Der Nebel floss besonders dicht und verschlang bereits nach wenigen Metern jegliche Kontur. Ich konnte Mrs. Pickman in geringem Abstand folgen, indem ich einfach auf ihre Schritte und ihr Schluchzen lauschte. Den schmatzenden Schlamm betrat ich erst gar nicht, sondern hielt mich parallel dazu, auf den bewachsenen Flächen. Es ging ein Stück weit durchs Dorf, immer wieder schälten sich dicht vor mir Bretter oder Ziegelsteine aus den Schwaden.
    Irgendwann verstummten die Schritte. Ich blieb stehen, hielt den Atem an und lauschte. Ein Knarren folgte, dann wieder das Geräusch von Schuhen auf dem feuchten Untergrund. Schließlich ein Klatschen, das von einem lauten »Muuuh!«, beantwortet wurde.
    »Komm schon, stures Ding!«, befahl die Alte. Etwas setzte sich in Bewegung, doch diesmal klangen die Schritte schwerer und wurden von mehr als zwei Beinen hervorgerufen. In unregelmäßigen Abständen klatschte es erneut, worauf stets ein Muhen folgte.  
    Du kannst dir meine Verwunderung sicher vorstellen, Magdalene. Es konnte kein Zweifel bestehen, auch wenn es noch so wenig Sinn machte: Mrs. Pickman trieb eine Kuh vor sich her. Immerhin machte das Tier einen solchen Lärm, dass die Wahrscheinlichkeit meiner Entdeckung auf ein Minimum geschrumpft war. Ich ließ mich etwas weiter zurückfallen und schritt ungeniert aus, während das ungleiche Paar die Siedlung verließ und sich bergauf vorarbeitete.
    Der dichte Nebel fühlte sich beinahe wie Regen an. Bald war meine Kleidung durchnässt und entzog mir kostbare Wärme. Ich schlang die Arme um mich und bereute es bitter, mir keine Decke übergeworfen oder Mrs. Pickmans Haus nach dem lädierten Mantel durchsucht zu haben. Die Luft roch eisig, der Winter näherte sich unaufhaltsam.
    Bald zogen keine Mauern mehr an mir vorbei, einzig ein knorriger Stamm oder ein halb entlaubter Ast drangen hier und da durch die grauen Wände zu mir vor. Wir befanden uns nicht mehr im Dorf, soviel stand fest. Jeder Versuch, sich zu orientieren, war zum Scheitern verurteilt. Ich konnte nur mit Bestimmtheit sagen, in welche Richtung es auf– beziehungsweise abwärts ging, jede weitere Richtungsangabe verkam zum Ratespiel. Vermutlich hätte ich noch nicht einmal das Dorf wiedergefunden, so allumfassend war der Nebel. Aber ich wollte ohnehin nicht umkehren. Ich ahnte, wohin die Alte unterwegs war, und jenes Ding ließ mich für den Moment in Ruhe. Möglicherweise hatte es sich verausgabt und musste sich regenerieren. Ich sah eine Chance gekommen, es mir anzusehen, ohne dabei den Verstand zu verlieren.
    Der schlammige Weg ging in einen mit Geröll übersäten Trampelpfad über. Knotige Wurzeln griffen nach den Füßen unvorsichtiger Wanderer und tückische Kiesel lösten sich unter ihren Stiefeln, um sie zu Fall zu bringen. Es ging so steil bergan, dass ich die Kälte bald vergessen hatte. Die Kuh blökte mehrmals frustriert, doch Mrs. Pickman kannte keine Gnade. »Weiter mit dir, faules Stück!«, hörte ich sie keifen.
    Allmählich lichtete sich der Wald, nur noch selten leisteten mir Blatt und Borke Gesellschaft. Stattdessen ragten Felsen zu mir herein, zerteilten die Schwaden wie gigantische Speerspitzen. Mir fiel auf, wie still es zwischen den Bäumen gewesen war. Ohne die beiden Gestalten vor mir wäre kein Laut an meine Ohren gedrungen, abgesehen von denen, die ich selbst hervorrief. Das Gelände um das Dorf war wie ausgestorben, und nun, da sich auch die Bäume zurückzogen, war selbst das Rascheln der Blätter verschwunden. Etwas entvölkerte das Land, das hatte ich schon vor Tagen gedacht. Nun konnte an meiner Theorie endgültig kein Zweifel mehr bestehen.
    Es ging längere Zeit steil bergauf, und als der Weg endlich wieder etwas flacher wurde, konnte ich nicht sagen, ob meine Kleidung vom Nebel oder vom Schweiß durchnässt war. Ein

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