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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Ink
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Kribbeln lief meinen Rücken entlang. Wir mussten in der Nähe des Gipfels sein. Es war nicht mehr weit. Eine Anspannung, die sich über Tage aufgebaut hatte, stand kurz davor, gelöst zu werden.
    Der Wechsel aus Schlägen, Muhen und Gezeter führte mich ein Stück waagerechte Strecke entlang, dann ging es abwärts. Hier standen überhaupt keine Bäume mehr, selbst Gräser und Moose waren nicht zu finden. Wir befanden uns zwar in großer Höhe, allerdings nicht so hoch, dass pflanzliches Leben unmöglich gewesen wäre. Auch das Wetter konnte nicht solche Kapriolen schlagen, dass sich kein Grün mehr aus der Erde emporzukrallen vermochte. Es gab nur eine Erklärung für diesen Umstand, und die sollten wir bald erreichen.
    Ich konnte an den Schreien des Rinds erkennen, dass wir uns dem Ding näherten. Das Tier klang immer wilder, Panik schwang in seinen Lauten. Nur der strengen Hand der Alten war es zu verdanken, dass das Vieh nicht längst Reißaus genommen hatte. Mrs. Pickman fluchte immer wieder lautstark. Offenbar bereitete ihr das Treiben der Kuh zusehends Schwierigkeiten. Die Frequenz der Schläge erhöhte sich erheblich, was das Tier zu noch mehr Geheul anregte.
    Der Weg wurde wieder eben, das Gelände flach und ausgedehnt. Hier gab es nichts außer Geröll und Nebel. Und der Schwingung. Ich konnte sie wieder spüren. Sie war sehr schwach, woraus ich folgerte, dass meine Überlegungen bezüglich der Erschöpfung des Konstrukts zutreffend waren. Wäre ich ihm tags zuvor so nahe gekommen, es hätte mich mühelos verschlingen können.
    Dann erblickte ich die Löcher. Krater zogen an mir vorbei, Nebelfetzen verfingen sich in ihnen. Die Ebene glich einer Mondlandschaft. Ich sah in eine der unnatürlichen Poren hinab und erkannte einen mit Brettern ausgekleideten Stollen. Das Erdreich unter meinen Füßen musste ausgehöhlt sein wie ein Schweizer Käse. Halb befürchtete ich bei jedem Schritt, dass der Boden nachgeben und mich aufnehmen würde.
    Über einem der Schlünde stand ein windschiefes, rostiges Gerüst. Ein Bohrturm, oder zumindest dessen Überreste. Die verbogenen Metallstreben wirkten wie ein Mahnmal, ein unmissverständliches Zeichen, das jedem Abenteurer zu verstehen gab: Du wirst scheitern.
    »Nur noch ein kurzes Stück ist’s«, krächzte die Alte und schlug die Kuh. »Weiter, dummes Tier! Ja, so ist’s gut.« Plötzlich änderte sich ihre Tonlage. »Siehst du’s? Ich hab dir was gebracht. Du kannst’s haben, wenn du mir mein‘ Boxer wiedergibst!«
    Ich blieb stehen, da ich mich der Stimme näherte. Mrs. Pickman musste am Ziel sein.
    »Hörst du nich‘? Du kannst’s haben. Ich geb’s dir freiwillig, wie neulich. Aber bitte, bitte gib mir den Hund.«
    Die Stimme brach. Einige Schluchzer folgten. Schließlich flehte sie weinend: »Bei allem, was recht ist, bitt‘ ich dich: Gib ihn mir wieder. Du hast … hast mir alles genomm‘n und mich zugrund‘ gerichtet, das kannst du jetzt nicht auch noch verlang’n. Gib ihn mir, biiitte!«
    Die letzten Worte waren kaum mehr zu verstehen, so durchsetzt von Schleim und Tränen waren sie. Ich fragte mich, auf wen oder was Mrs. Pickman einredete. Die Neugier war kaum zu bezähmen, doch ich fürchtete, mich zu verraten, wenn ich mich weiter vorwagte. Während ich noch unsicher von einem Fuß auf den anderen trat, wurde das Geheul der alten Frau beantwortet. Etwas knarrte, etwas Großes, Schweres. Der Boden vibrierte. Ein durchdringendes Quietschen erklang, so laut, als würde die größte und rostigste Tür der Welt aufgesperrt.
    »Ja«, heulte Mrs. Pickman. »Ja, ja! Nimm es, um des Heilands will’n!«
    Nun mischte sich ein kolossales Knirschen in die Geräuschkulisse. Es klang, als drehten sich zwei gigantische Mühlräder im Nebel. Über mir war ein Rauschen. Ich hatte das irrsinnige Bild eines riesenhaften Krans vor Augen, dessen Schwenkarm über mich hinwegfuhr.
    »Ja, öffne dich! Nimm’s an und lass ihn frei!« In Mrs. Pickmans Stimme lag der euphorische Beiklang des Wahnsinns. Ich bezweifelte, dass sie noch auf mich achten würde und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Dort kniete sie, sich vor und zurück wiegend und dabei immer wieder ausrufend: »Ja, ja, ja!«
    Die Kuh blökte nicht mehr. Mit starrem Blick ging sie geradeaus, von der Alten fort. Das Knirschen, Knarren und Quietschen endete in einem lauten Poltern. Ich tat noch zwei, drei Schritte und glaubte, etwas zu sehen. Holz, Stein, Metall … nein, das konnte nicht sein. Noch zwei

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