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Das Graveyard Buch

Titel: Das Graveyard Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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holen müsste. Als er zum Eingang kam, entdeckte er, dass die kleine Fußgängerpforte nicht verschlossen war und weit offen stand, so als ob der Friedhof selbst ihm den Weg zum Abschied öffnete.
    Eine blasse, rundliche Gestalt wartete vor der offenen Pforte und lächelte ihm zu, als er näher trat, und Tränen standen ihr in den Augen.
    »Hallo, Mutter«, sagte Bod.
    Mrs Owens rieb sich die Augen mit einem Fingerkn ö chel, dann tupfte sie sie mit der Schürze trocken und schüttelte den Kopf.
    »Weißt du schon, was du jetzt tun wirst?«, fragte sie. »Mir die Welt anschauen«, sagte Bod. »In Schwierigke i ten geraten und wieder herauskommen. Dschungel und Wüsten durchwandern, Vulkane besteigen, Inseln erfo r schen. Und Leute, wahnsinnig viele Leute kennenle r nen.«
    Mrs Owens erwiderte nicht sofort etwas. Sie blickte zu ihm auf und dann begann sie ein Lied zu singen, das Bod bekannt vorkam, ein Lied, das sie ihm immer zum Ei n schlafen gesungen hatte, als er noch klein war.
     
    Schlaf, Kindchen, schlaf,
    Sei doch lieb und brav.
    Bist du einmal aufgewacht,
    Siehst du die Welt in ihrer Pracht.
     
    »Ja«, flüsterte Bod, »die werde ich sehen.«
     
    Küss der Liebsten Wangen,
    Reich die Hand zum Tanz,
    Finde deinen Namen
    Und verborgner Schätze Glanz …
     
    Und dann fielen Mrs Owens auch die letzten Verse ein und sie sang sie ihrem Sohn vor.
     
    In Freude und Schmerz,
    Greife nach dem Leben
    Und mach dich bereit
    Zu allen Wegen.
     
    »Mach dich bereit zu allen Wegen«, wiederholte Bod. »E i ne schwierige Forderung, aber ich kann mein Bestes tun.«
    Er wollte seine Mutter umarmen, wie er es als Kind getan hatte. Doch es war, als hätte er Nebel festhalten wollen, denn er war allein auf dem Weg.
    Er ging durch die Pforte und verließ den Friedhof. Ihm war, als hörte er eine Stimme sagen: »Ich bin so stolz auf dich, mein Sohn«, aber vielleicht bildete er si c h das auch nur ein.
    Im Osten des Mittsommerhimmels wurde es allmä h lich hell, als Bod den Weg hinunter in die Stadt, zu den Lebenden, zur Morgenröte einschlug.
    In seiner Reisetasche war ein Pass, außerdem hatte er eine Brieftasche mit Geld. Ein Lächeln spielte um seine Lippen, allerdings ein verhaltenes Lächeln, denn die Welt ist weiter als ein kleiner Friedhof auf einem Hügel. Es gab Gefahren, aber auch Geheimnisse, es galt, neue Freunde zu finden und alte wiederzufinden, Fehler zu machen und viele Wege zu gehen, bis er dann am Ende auf den Friedhof zurückkehren oder mit der Dame in Grau auf dem breiten Rücken ihres mächtigen Rosses heimreiten würde.
    Aber zwischen jetzt und dereinst lag das Leben, und Bod ging ihm entgegen mit offenen Augen und mit we i tem Herzen.

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