Das große Buch vom Räuber Grapsch
mit dem tropfenden Kochlöffel in die Runde.
Grapsch war sprachlos. Aber auch Olli war überrascht, als sie den Räuber näher betrachtete.
„Sie sind ja ein hübscher Kerl!", rief sie entzückt aus, ließ den Kochlöffel in den Kessel fallen und schlug die Hände zusammen. „Jetzt fehlt Ihnen nur noch das Hemd." Sie warf es ihm zu. Mit gerunzelter Stirn starrte er darauf. „Rot", seufzte er und schüttelte den Kopf. „Na und?", fragte sie. „Haben Sie was gegen Rot?"
„Damit sieht man mich schon meilenweit. Keine Farbe für Räuber."
„Dann räubern Sie eben nicht mehr!", rief sie. Kaum hatte er das Hemd übergezogen, standen schon Teller auf dem Tisch, lagen Löffel bereit, dampfte die Suppenschüssel. „Leberknödelsuppe", sagte sie, schöpfte beide Teller voll und kletterte auf einen der zwölf Stühle. Er ließ sich ihr gegenüber nieder und begann zu schmatzen und zu schlürfen. „Noch einen Teller voll", sagte er, als er fertig war. Er aß sieben Teller Leberknödelsuppe. Sie aß zwei. Danach wurde sie ganz still und starrte auf ihren Teller. „Is' was?", fragte er und wischte sich den Schnurrbart am Arm ab.
„Jetzt muss ich gehen", seufzte sie, „sonst wird's dunkel, bevor ich heimkomme. Die Tante erlaubt nicht, dass ich im Dunkeln draußen bin."
Grapschs Stirn legte sich in Falten. Er rülpste traurig.
Bleib hier oder ich schieße !
Olli suchte ihre sechs Einkaufstaschen zusammen und stopfte sie in ihren Rucksack. „Eimer und Schrubber und das ganze andere Zeug können Sie behalten", murmelte sie und schnäuzte sich. „Ach ja. Morgen ist Montag. Da muss ich wieder in die Fabrik. Sparschweine anmalen. Seit sieben Jahren mache ich nichts anderes als zwei rosa Punkte auf die Schweinerüssel tupfen. Stellen Sie sich das vor! Das ist doch kein Leben: Von links werden mir die Schweine zugeschoben. Ich mache tupf-tupf auf ihre Rüssel, dann schiebe ich sie nach rechts weiter, wo eine Frau sitzt, die ihnen die grinsende Schnauze draufmalt. Wenn ich mich nicht beeile, komme ich nicht nach. Dann gibt's einen Stau vor mir. Ach, wie ich diese Sparschweine hasse!" Er gaffte sie mit offenem Mund an.
„Ich verstehe Sie nicht, Grapsch", klagte sie. „In fast jeder Wohnung, jeder Werkstatt, jedem Laden sind Sie schon gewesen - nur in unserer Fabrik noch nicht. Was wäre das Juckener Ländchen ohne seine Sparschweinfabrik? Die Sparschweine der Flpiß & Preis AG sind weltberühmt! Könnten Sie denn nicht mal kommen und rauben?"
„Was soll ich mit Sparschweinen?", fragte er verdutzt. „Nicht die Sparschweine", rief sie eifrig, „sondern die Tür vom Brennofen, in dem die Sparschweine hart gebrannt werden. Dann bräuchte ich ein paar Tage lang keine Schweinerüssel mehr zu bemalen."
„Was soll ich mit so einer Tür anfangen?", fragte er.
„Werfen Sie sie meinetwegen in den Sumpf - aber rauben Sie sie.
Bitte!"
Er spuckte in weitem Bogen aus der Höhle und grunzte. „Sie haben es so schön hier", rief sie. „So frei! Sie können machen, was Sie wollen. Ich kann nicht einmal machen, was ich will, wenn ich aus der Fabrik nach Hause gehe. Tante Hedwig bestimmt über mich. Sie merkt gar nicht, dass ich schon längst erwachsen bin. Was kann ich dafür, dass ich so klein bleibe? Aber es ist ja Quatsch, dass ich Ihnen was vorjammere. Was wissen Sie schon von unserem Juckener Leben."
Sie begann zu schluchzen und lief davon. Aber weit kam sie nicht, denn Grapsch sprang plötzlich auf, riss die Pistole aus dem Gürtel und donnerte:
„Halt! Stehen bleiben oder ich schieße!"
Olli blieb stehen und drehte sich um. Sie fürchtete sich nicht. Sie sah den Räuber erwartungsvoll an.
„Du bleibst hier!", herrschte er sie an.
Da streifte sie den Rucksack ab, lief auf Grapsch zu, sprang an ihm hoch und fiel ihm um den Hals.
„Ach Grapschi, du Lieber", rief sie und lachte und weinte zugleich,
„wie schön, dass du mich nicht heimgehen lässt."
„Hast du gesagt, ,du Lieber'?", fragte er verblüfft.
„Ja, ja, ja", rief sie, „ich hab dich am liebsten von allen auf der Welt!"
Da ließ er die Pistole fallen und drückte die kleine Frau vor Freude an seine Brust.
„Ich dich auch", sagte er, „ich dich auch -"
Plötzlich wurde sie stumm und bewegte sich nicht mehr. Ihr Kopf hing herab. Er schüttelte sie, er wiegte sie in den Armen. Vor Verzweiflung fing er laut an zu heulen.
„Ich hab sie zerdrückt!", jammerte er. „Ich Trampel! Ich Ungeheuer!"
Als er sich so über sie beugte, geriet eine von
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