Das große Leuchten (German Edition)
Und dass es Ana eines Tages so sehen wird, dass wir von irgendwoher auf diese Sache zurücksehen werden – und dass sie dann sagt: Du hast es tatsächlich gemacht. Du hast mich da rausgeholt, du hast mich gerettet.
Auf den Monitoren läuft ein Actionfilm. Robert liest.
2
Teheran, Imam-Khomeini-Airport. Die Luft ist ein versmogt kochender Farbbrei, der Schweiß läuft mir in die Augen. Vor dem Haupteingang streunen Hunde herum, über den Souvenir-Läden blinken krabbelnde Leuchtschriftzüge, laute Rhythmen scheppern aus einem Taxi weiter hinten. Ein paar Fahrer sitzen auf den Leitplanken und grillen, während andere am Eingang wütend nach Kunden schreien. Ein großer Mensch mit einer hellgrünen Uniform, einer Sonnenbrille und einem Maschinengewehr steht plötzlich bei uns, scheint etwas zu suchen und verschwindet wieder hinter den Taxis.
Robert ist schon vorgegangen und sieht sich etwas zu auffällig um, ragt als dünne weiße Stange heraus, während neben ihm ein junger breiter Mensch steht und ganz aufgeregt eine Pappe mit unseren Namen hochhält. Er lässt sie immer wieder sinken, als wäre ihm nicht ganz wohl dabei, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sieht mehrmals auf die Uhr. Wahrscheinlich unterscheiden wir uns für ihn kaum von den anderen Fluggästen, die jetzt mit Rollkoffern und durchgesessenen Gesichtern aus der Drehtür kommen.
Er trägt einen zu großen Fleecepullover mit der Aufschrift Hard & Heavy , wirkt allerdings auffällig gutmütig und weich.
«Abulfazl Merizadi?», frage ich.
«SEID IHR DAS?», ruft Abolfazl Merizadi.
Seine Stimme ist viel dunkler und kräftiger als am Telefon. Er drückt uns nacheinander, als würden wir uns ewig kennen. Ich löse mich etwas beschämt vom fremden Holzgeruch seines Pullovers.
«Nennt mich Abu! Ich freu mich schon die ganze Zeit, dass ihr kommt!»
Wir brettern in seinem abgewrackten Auto durch die Wüstenlandschaft: Ausgetrocknete Flüsse fliegen vorbei, flache Ruinen. Am Straßenrand sind ab und zu Leute mit Schubkarren zu sehen, dazwischen Kinder mit Plastiksäcken auf dem Rücken. Abu rät mir, mich nicht gegen die Hintertür zu lehnen, weil ich sonst auf die Straße falle, ich sitze also lieber ganz steif. In der Ferne taucht eine riesige Steinfaust auf, anscheinend ein politisches Denkmal, das sich aber verwandelt, als wir näher kommen: Es ist nur eine Handywerbung. Eine riesige Steinfaust streckt ein riesiges Steinhandy in den Himmel. Und im nächsten Moment ist sie schon wieder verschwunden, wir drehen um und schießen mit neuer Wucht drauflos, alles ist braun und verschwommen in der Abenddämmerung, nur die Lichter der Autos strahlen hell. Abu lacht mich im Rückspiegel an. Mir fällt auf, dass er viele kleine Falten um die Augen hat, obwohl er erst um die zwanzig sein kann.
Es sei schon ungewöhnlich, dass sich meine Freundin drei Wochen nicht melde, sagt er, auch wenn das nicht zwangsläufig heißen müsse, dass sie Probleme mit der Polizei bekommen habe. Schließlich würden westliche Touristen nicht einfach so verhaftet werden, bei aller Willkür.
«Oder ist sie auch Kommunistin?»
«Eigentlich nicht, sie sucht nur ihre Mutter.»
«Ich hab ein paar Fotos, auf denen Anas Mutter mit meiner Mutter zu sehen ist! Die zeig ich euch gleich! Aber kommt erst mal an. Ich bin so froh, dass ihr da seid!»
Zwei Hügel schieben sich auseinander, und Teheran schält sich aus dem Nebel. Schleimig gelb und flach und laut. Die Ampeln blinken orange, als wollten sie den Verkehr anfeuern. Wir überholen eine Familie auf einem Moped und einen Pkw ohne Türen, und an der nächsten Kreuzung springt plötzlich ein schreiender Mann aus einem Wagen und verfolgt zwei Kinder, die mit einer Eisenstange zwischen den Autos verschwinden – das Dauerhupen schwillt nur unwesentlich an. Abu lenkt mit einer Hand und mustert mich im Rückspiegel, während er Gas gibt, scharf im Kreis, dann an einem Palast vorbei, eine dunklere Straße hinauf, zwischen Werkstätten und Wiesen mit vereinzelt grasenden Schafen. Als ich aus dem Rückfenster sehe, entdecke ich wieder den Soldaten vom Flughafen, den Typen mit der hellgrünen Uniform und der Sonnenbrille, wie in einem billigen Film. Er sitzt dicht hinter dem Lenkrad, ein grüner Pkw – und dann nimmt er seine Sonnenbrille ab, weicht meinem Blick überhaupt nicht aus.
Abu sagt, das sei schon okay, es könne sehr gut sein, dass sich ein Beobachter an uns hefte – wir sollten uns einfach wie normale Touristen
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