Das große Leuchten (German Edition)
leuchtet der gelbe Blümchenvorhang vor dem Fenster im Licht eines vorbeifahrenden Autos.
«Liebst du sie wirklich?», flüstert Abu. «Hast du in Deutschland schon viele geliebt?»
«Wie meinst du das?»
«Na, ich habe gehört, dass man in Deutschland viele lieben kann und viel Spaß hat, weil man sich einfach trennt, wenn man keinen mehr hat. Also, dass man dann wieder neue Beziehungen hat, sooft man will. Ist doch so, oder nicht?»
«Ich weiß nicht.»
«Seid ihr verlobt? Hast du sie geküsst? Also, ich hab erst einmal eine Frau geküsst. Ich war bei ihr zu Besuch, und wir haben Federball gespielt, und dann haben wir beide nach dem Federball gegriffen, und da hab ich sie einfach geküsst. Und am nächsten Tag habe ich meine Mutter hingeschickt, und ihr Vater hat gesagt, dass ich erst zum Militär muss, bevor ich sie heiraten kann, und ich hab zwei Jahre lang meinen Militärdienst gemacht. Aber was ist, als ich wiederkomme? Da war sie schon verheiratet. Love is a losing game , sage ich immer.»
«Was?»
«Kennst du nicht dieses Lied von Amy Winehouse? Jetzt hab ich auf jeden Fall genug von Iranerinnen, jetzt will ich eine Kanadierin oder eine Engländerin oder von mir aus eine Neuseeländerin. Ich will auswandern und neuseeländische Kinder kriegen, oder deutsche. Kennst du Kanadierinnen? Was meinst du, in welchem Land man am meisten Spaß haben kann?»
Er sieht mich an. Es ist dunkel, aber ich spüre, dass er mich ansieht.
«Amy Winehouse war die Lieblingssängerin von meiner zweiten Liebe, der hab ich sogar an die Titten gefasst. Aber die ist jetzt auch schon verheiratet. Wie will man da glücklich werden?»
«Titten?»
«Was?»
«Jedenfalls kenne ich das Lied.»
Und ich will ihn gerade fragen, ob es tatsächlich denkbar ist, dass er nach Neuseeland auswandert, aber ich komme nicht dazu, denn er fängt plötzlich an, mir seine Kissen rüberzureichen.
«Du liegst zu hart!»
Im nächsten Moment ist seine Mutter wach und reicht mir auch ein Kissen.
«Ich liege gut», sage ich.
«Du liegst nicht gut?», sagt Abu.
Und plötzlich kommen noch zwei Kissen und noch eine Decke, und Abu steht auf und besteht darauf, dass wir die Matratzen tauschen.
«Meine ist viel weicher! Meine ist wirklich zu weich für mich. Ich kriege Rückenschmerzen davon!»
Und Robert wacht auf und gibt mir ein Kissen, und Abus Mutter reicht mir noch eine Decke rüber, sodass ich am Ende mit drei Decken und acht Kissen daliege.
«Wir werden sie finden», sagt Abu zu mir.
5
Wir tauchen in den dunklen Teil des Basars. Am nächsten Tag. In den schwülen Fischgeruch der Tunnelstadt. Ich habe Abu und Robert geweckt, nachdem ich im Morgengrauen eine Stunde die Straße abgegangen bin; ich habe mir an einem kleinen Stand einen Stadtplan gekauft, was allerdings überhaupt nichts bringt, weil er eher nach einer Kinderskizze aussieht als nach einem wirklichen Plan. Abu sagt, es gebe in Teheran zu viele Straßen, als dass je ein Mensch einen exakten Plan davon zeichnen könnte, zumal die Straßen andauernd verschwinden oder neu entstehen. Diese Skizze sei allenfalls das Skelett eines Krüppels – das hätte sein Chef aus dem Tuchladen mal gesagt: dass Teheran wie ein riesiger Krüppel sei. Ein verrückter Krüppel! Und sein Chef habe eben einen Überblick über die Dinge.
Ultra City steht mit Kreide auf einem Schild vor einem Friseursalon – und dahinter geht es steil abwärts in die feuchten Tunnel, vorbei an Höhlen, in denen kleine Männer neben Bergen von Gummischläuchen sitzen, neben Bergen von Schuhen und Schrauben und Töpfen. Rechts hängen gebogene Dolche an der Wand, links geht es in ein ersticktes Zwitschern: Bunte Vögel sitzen in verschnörkelten Käfigen, teilweise halb tot. Immer wenn ich einen Tuchladen entdecke, biegt Abu gerade in einen anderen Gang, und da gibt es dann ebenfalls Tücher, außerdem Blüten, getrocknete Eidechsen, Seifen und Kerzen.
Durch einen Torbogen mit abbröckelnden Blumenornamenten erreichen wir einen Brunnen, an dem sich dürre, ältere Männer waschen, und Robert bleibt sofort stehen, weil sich diese Männer genauso gewissenhaft waschen wie er. Er steht da und guckt, als hätte er gerade seine Artgenossen entdeckt.
«Da hab ich von gelesen!», sagt er. «Das sind die Waschungen vor dem Gebet! Wudhu.»
Ich muss ihn am Hemd weiterziehen, damit er nicht zu ihnen geht und sich mit ihnen wäscht. Abu steht schon vor dem Laden seines Chefs, zwischen zwei steinernen Löwengesichtern. Über dem
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