Das große Leuchten (German Edition)
Eingang blinkt in knisternden Buchstaben die Leuchtschrift Irrational . Zumindest lese ich das, es heißt Iran National .
Ich sehe unendlich viele Stoffe. Goldene und grüne und fluoreszierende, in Rollen und Stapeln. Ich sehe eine ganze Wand voller Graunuancen, Taube und Hecht und Eisen, außerdem Safran und Ocker und alle Brauntöne der Welt; Truhen voll Troddeln und Pailletten. Dazwischen mehrere goldumrandete Spiegel, die alles noch vergrößern. Dasselbe Chaos, in dem das Baby auf dem Foto zu sehen ist. Mittendrin sitzt der Chef auf seinem Ledersessel, in einem schwarzen Anzug, die Hände auf dem Bauch gefaltet – erwartet uns anscheinend schon mit diesen ruhigen schwarzen Augen unter den struppigen Brauen. Vor ihm liegen mehrere Handys auf dem Tisch, in seinem Gesicht sitzt ein süffisantes Lächeln, als wir näher treten. Abu hat gesagt, er spreche fließend Französisch, Türkisch und Russisch. Und Englisch natürlich.
«Setzen», sagt Nassir Chan.
Wir nehmen auf Sitzkissen zwischen den großen Spiegeln Platz und bekommen von seinem Diener Duk serviert, eine Art salzige Milch, die ich in kleinen Schlucken runterzwinge, während der Diener wieder seinen Platz zwischen den Regalen einnimmt. Er verschwindet fast in der Wand. Und Nassir Chan mustert uns von oben, aus seinem Chefsessel heraus, verlangt mit einer kurzen Handbewegung das Foto von Anas Mutter, das Abu ihm reicht. Ich soll erklären, was ich von ihr weiß: dass sie Simin heißt und eine ziemlich selbstbewusste und hübsche Frau ist, Assistentin irgendeines verfolgten Regisseurs, Kommunistin und im Widerstand.
Ich sage: «Wo sucht man sie am besten?»
«Aha!»
Er greift zu seinem Duk und saugt es durch den Mundwinkel rein, langsam nickend, als wäre jetzt etwas erkannt worden. Hinter ihm an der Wand hängen Postkarten und Fotos: Nassir Chan mit zwei jungen Frauen vor dem Eiffelturm, Nassir Chan mit Safarihut vor Pyramiden, ziemlich weltmännisch. Wobei sein Gesicht wirkt, als würde er eine dieser Spaßbrillen mit Nase und Riesenaugenbrauen tragen, es bleibt unklar, ob dieser Ausdruck in seinen Augen selbstironisch sein soll – oder eben grade nicht. Ein Hauch Rasierwasser geht von ihm aus und flößt Vertrauen ein, und dann kommt der feuchte Blick hinterher und nimmt es wieder.
Robert nestelt an seiner Gürteltasche rum, auf der Suche nach einem von diesen Deutschlandkühlschrankmagneten, den er aber nicht findet. Was wahrscheinlich besser ist.
Nassir Chan steckt das Foto von Anas Mutter in die Tasche seines Jacketts.
Ich versuche es noch mal: «Sie kennen Anas Mutter?»
Die Antwort kommt wieder: «Aha!»
Dann legt er den Kopf in den Nacken und bringt ein tonloses Lachen, verharrt in dieser Position, nur sein Adamsapfel bewegt sich.
Ich hätte die Eleganz eines Bauernkindes.
Ich sage: «Wie bitte?»
«Du siehst ein wenig aus wie ein Bauernkind, junger Freund!»
Und er lacht weiter auf diese tonlose Art, schüttelt amüsiert den Kopf und sagt etwas auf Persisch. Abu übersetzt, sein Chef meine, dass ich wie ein zu kurz geratenes Bauernkind aussähe, weil ich dieses karierte Hemd trage und alte Jeans, was er aber durchaus schick und elegant finde – wenn man eben wie ein Bauernkind aussehen wolle.
«Machen Sie Witze?»
«Keine Witze», sagt Abu. «Er kennt sich aus mit Mode.»
Ich sage, dass ich jedenfalls kein Bauernkind bin, und versuche, Nassir Chans Blick standzuhalten, ihm zu vermitteln, dass er mich ernst nehmen soll. Sitze hier relativ selbstbewusst und fest. Mit einem festen ruhigen Blick. Hoffe ich.
«Er war im Krieg General, okay?», sagt Abu. «Er hat fünf Kugeln in den Bauch gekriegt und ist immer noch am Leben! Und jetzt kennt er alle Leute und hat zwölf Läden, über die ganze Stadt verteilt. Er hilft jedem, wenn er auf der richtigen Seite ist.»
«Das stimmt», sagt Nassir Chan.
«Und wo ist die richtige Seite?»
«Da, wo die ehrlichen Männer sind», sagt Abu. «Es hat nichts mit Politik zu tun. Man muss nur auf der richtigen Seite sein. Innen.»
Er lächelt, er scheint stolz zu sein auf diesen Chef, und mir wird klar, dass das Ganze für ihn ein Abenteuer ist, eine spannende Abwechslung, irgendein Deutscher sucht seine Freundin, und er hilft ihm dabei – während im Gesicht seines Chefs etwas ganz anderes lauert. Der steckt sich einen Plastikzahnstocher in den Mund und kaut darauf herum, fixiert mich mit wiegendem Kopf, erst todernst und dann wieder amüsiert. Nachdem er die Gesamtsituation offenbar zu
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