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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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Dinge wahr, die es nicht gab. Er betrachtete die in der Sonne glitzernden Glasscherben, und als ich dazukam, fragte er, was dieses Muster bedeute, das hier angeordnet worden sei. Ich sah mir die Scherben an, aber ich konnte kein Muster erkennen, es waren einfach die Scherben mehrerer Flaschen, bunt und chaotisch.
    «Wer soll denn hier Muster gelegt haben?»
    «Die Städter, die Städter mit ihrem Zungensexschleim. Diese Leute eben, die immer ihre Scherben auslegen. Und dann kommst DU mit deinen Fingerstückchenantennen und verstehst es nicht.»
    Das Einzige, was ich verstand, war, dass er sich eine eigene Sprache ausgedacht hatte. Völlig unverständliche Sätze kamen neuerdings aus ihm raus, und sie hatten meistens einen ekligen, bedrückenden Klang, so als hätte man sie in einem vergessenen Albtraum schon mal gehört. Als gebe es dahinter einen ganz bestimmten, betörenden Sinn und als liefe man Gefahr, diesen Sinn zu verstehen und sich dadurch angesteckt zu haben. Im nächsten Moment redete er dann wieder ganz normal, aber sein Blick war immer noch entrückt. Ich sah auch, dass seine Fingerkuppen vernarbt waren vom übertriebenen Fingernagelschneiden und Feilen.
    Nachmittags saß er alleine auf seinem Klappstuhl in der Gartenlaube und schnitt Grimassen und gestikulierte, um dann unvermittelt in die oberen Ecken der Laube zu starren, als würde sich da etwas bewegen. Ich sah ihm durch das Plexiglasfenster zu, und wenn er so plötzlich in die Ecken sah, musste ich auch hinsehen – er konnte einen tatsächlich anstecken –, aber da gab es natürlich nichts außer Spinnennetzen.

    Ich sagte: «Pass mal auf, Robert, was soll das? Setz dich doch mal kurz zu uns in die Grube und erklär mal ganz genau, was du denkst.»
    «Na, also die Städter», sagte er. «Sie verändern alles von innen mit Signalen. Du merkst es nur noch nicht. Aber du kannst nicht einfach so herumlaufen und denken, Ana ist deine Mutter, und dann mit ihr Schweinesündenspiele machen. Du musst dich schützen. Wir müssen alle viel vorsichtiger sein. Sie wollen sich in deine Gesichter einwickeln.»
    «Merkst du nicht, dass du Schwachsinn redest? Du benutzt doch total komische Sätze, oder?»
    «Sie haben euch schon eure Gesichter abgeflacht. Deshalb seid ihr blind und verändert.»
    «Wie sollen sie uns denn verändert haben?»
    «Über die Fingernägel und die Haare. Sie leiten ihre Signale in die Luft, und von dort aus gehen sie in eure Hornsubstanz. Ich habe Angst.»
    Er wirkte erschrocken. Als zwänge ihn etwas, diesen Schwachsinn auszusprechen, weil es in einer bestimmten Dimension vielleicht wirklich so war, wie er es ausdrückte. Ana meinte aber, dass man sich gar nicht erst darauf einlassen dürfe.
    «Pass auf, Robert», sagte sie. «Alles nach der Reihe, okay? Also, du verstehst es doch, du hast Angst, weil du merkst, dass du eigentlich Schwachsinn redest, oder?»
    «Ja, ich habe Angst.»
    «Und du machst dir Sorgen und willst mit uns drüber reden, damit wir überlegen können, was wir dagegen tun?»
    «Ja, genau.»
    «Und du weißt, dass dir eigentlich niemand Signale über deine Fingernägel in den Körper leitet und dass es Unsinn ist, wenn du dir deshalb die Fingerkuppen verstümmelst?»
    «Nein.»
    «Nein?»
    «Nein, es ist, weil sie euch schon abgeflacht haben. Sie wollen euch von innen eure Chromosomengesichter abraspeln. Er kommt immer näher.»

    Die gelb leuchtenden Pillen, die Frances in einer mit Blumenmustern verzierten Holzbox aufbewahrte, wirkten relativ schnell, was ich eigentlich auch wieder beängstigend fand. Man konnte sich plötzlich nur noch vorstellen, dass es sich ins Extreme gesteigert hätte. Schon nach einer Woche sagte er kaum noch Sätze, die vollkommen unsinnig waren. Dafür bewegte er sich langsamer und lief neuerdings immer mit dem Anglerhut durch die Gegend, den er auf dem Dachboden gefunden hatte – es kam mir vor, als wollte er sich etwas Kesses hinzufügen, jetzt, wo er sich als verrückt entpuppt hatte. Als wollte er damit sagen, dass er einfach ein origineller Typ ist, der gerne mal etwas Abweichendes bringt.
    Etwas richtig Verrücktes kam nur noch ein allerletztes Mal beim Abendbrot aus ihm raus. Er meinte, dass Frances und ich mit unserem Besteck kommunizieren würden, dass wir uns kleine Klackgeräusche senden würden – aber er sagte es sehr leise und ohne Überzeugung. Es klang, als hätte diese wirre Stimme in ihm noch einen letzten Versuch machen wollen, als wären es ihre letzten Worte

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