Das große Leuchten (German Edition)
festgeschnallt.
«Maschine?»
«Natürlich, natürlich, die Drehmaschine!»
Er steckt den Kopf zwischen die Beine – so etwa hätten sie ihn nämlich in diesem Rad festgegurtet und gedreht, und er habe ohne Ende gekotzt und gedacht, dass er hier sterben werde. Und die Tage seien ihm durcheinandergeraten, weil er so oft ohnmächtig gewesen sei – aber nach sechs Wochen hätten seine Eltern dann endlich rausgekriegt, wo er war. Sie hätten hinter einer dicken Glasscheibe gesessen und ihn gar nicht erkannt, wegen dem verquollenen Gesicht, aber dann eben doch, und beide hätten sie geweint, sogar sein Vater. Sie hätten Nassir Chan benachrichtigt, hieß es – und am nächsten Tag sei Nassir Chan wirklich gekommen, wie eine Halluzination habe er ausgesehen in seiner alten Generalsuniform. Alle hätten vor ihm salutiert, und er habe so eine strenge Art vorgespielt und ihn ausgeschimpft, um ihn rauszubekommen – und dann habe er ihn gestützt, und man sei zusammen nach draußen gehumpelt. Aus dem Gefängnis raus. Es sei Abend gewesen, seine Eltern hätten auf der Straße gewartet.
«Danach hab ich zwei Wochen im Krankenhaus gelegen, und meine linke Hand kann ich bis heute nicht richtig bewegen, aber was ich euch vor allem sagen wollte, ist, dass ich gerettet wurde, okay? Von Nassir Chan und weil ich gebetet habe und weil sich alles so entwickelt hat, wie es musste! Genau so, wie ihr jetzt hier sitzen müsst, damit wir uns später mit Ana treffen. Das meinte ich. Das ist alles folgerichtig.»
Robert bringt es fertig, wissend zu nicken. Als könnte er ganz genau einordnen, was Abu da erzählt.
Ich frage, was genau das zu bedeuten habe – welche Kontakte es eigentlich seien, die seine Familie zu Anas Familie hatte. Aber Abu winkt ab und sagt, diese Gefängnissache habe damit nichts zu tun, es gebe nur diese frühere Bekanntschaft zwischen seiner und Anas Mutter, das sei alles.
Dann steht er auf und macht Musik an. Er sagt, er wolle auf keinen Fall, dass wir jetzt verwirrt oder schockiert sind, es gehe ihm ja wieder gut, ob wir nicht sehen würden, wie gut es ihm gehe?
Und es stimmt wohl, er sieht ganz heiter und lebendig aus, aber das macht die Sache noch seltsamer: der unschuldige Abu in seinem Fleecepullover. Die Wärter mit den Schlagstöcken. Als würde um mich herum plötzlich eine undurchsichtige Nachrichtenwelt entstehen, eine noch kompliziertere Stadt, mit der ich nichts zu schaffen habe – in der es Zusammenhänge gibt, die aber sicher nicht meine Zusammenhänge sind. Und in die man sich auch besser nicht zu tief einmischen sollte. Während wir hier bei jemandem sitzen, den ich im Grunde gar nicht kenne, der uns ein Glas mit Keksen hinschiebt und sagt, dass er mir da zustimme, dass alles immer eine Kettenreaktion sei.
Auf die man einfach vertrauen müsse.
Neunzehn Uhr – noch sieben Stunden. Ich schlendere vor die Tür und wieder rein und denke: Das muss Ana auch filmen für ihre Doku, diese ganze Situation. Diese Mutter Merizadi, die mir kieksend zulacht, als ich mal wieder die Kochnische passiere. Eine Wolke kölnisch Wasser kommt von ihr rüber, während sie ihren Vorratsschrank ausräumt, sie bringt süßen Zwieback und Würfel aus kandierten Mandarinen, kommt mit ausrangierten Hemden ihres Mannes, die wir anprobieren sollen. Imitiert sein ernstes Gesicht, um im nächsten Moment wieder zu glucksen, als gehörten wir zur Familie, als hätten wir hier unseren Platz.
Oder Abu und Robert, mit Erdnüssen flitschend.
Während Abu erzählt, dass er dieses Spiel als Kind mit seiner Mutter gespielt habe, und dabei aussieht, als wäre er noch ein Kind, bevor er dann den Kopf dreht und doch wieder diese Fältchen um die Augen hat.
Draußen auf der Straße werden mir Nüsschen und grüne Pflaumen angeboten, einfach so, im Vorbeigehen, von erwachsenen Männern. Ich sehe wieder einen Soldaten, er steht da einfach so zwischen den ballspielenden Kindern und sieht mich ausdruckslos an, wird dann von ein paar Frauen verdeckt und ist wieder weg. Als Teil einer Gesamtsituation, die ich eben einfach nicht erfasse, versuche ich mir zu sagen, als etwas, das Abu für uns einschätzen muss.
Während mich ein paar Kinder mit Peace-Zeichen grüßen und meinen Namen nennen. Die halbe Nachbarschaft guckt mich an und scheint mich schon zu kennen. In diesem roten Staub.
Bevor wir gehen, überreicht mir Mutter Merizadi einen handförmigen Schlüsselanhänger aus Plastik, die Hand Fatimas , die mir Glück bringen soll
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