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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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vertrauter, und ich dachte daran, dass wir es geschafft hatten und dass es uns vielleicht für immer aneinanderschweißen würde. Klar war, dass es heute nicht noch mal passieren würde und dass jetzt auch nicht die ganze Zeit darüber nachgedacht werden sollte. Ana schien es nicht zu wollen: Plötzlich setzte sie sich auf und fing an, wieder betont normal zu reden.
    Über die Dokumentarfilme, die sie eines Tages drehen wollte. Über eine Radiosendung, in der es um den Widerstand in Teheran gegangen sei. Oder über meine Nichtblinzeltechnik, die sie nicht richtig verstand.
    «Was soll denn das bitte für eine STRUKTUR sein, die du da immer sehen willst? Es ist doch so, dass alles erst im Auge entsteht, wusstest du das nicht? Alle Bilder entstehen im Gehirn. Da kannst du genauso gut die Augen ZUMACHEN, anstatt nicht zu blinzeln!»
    Aber es war gar nicht wichtig, darüber nachzudenken, weil sie schnell wieder bei einem anderen Thema war. Weil sie einfach ihrer eigenen Stimme folgte, um so zu tun, als würde sie gar nicht mehr an vorhin denken. Und während ihr grünes Haargummi blitzschnell von ihrem Handgelenk in ihre Haare wanderte und während sie von Gehirnen und Träumen erzählte, stellte ich mir vor, dass ich in ihr drin gewesen war. Und dass es etwas ausgelöst hatte, das sie jetzt dazu brachte, mich besonders sachlich anzusehen. Sie schien es einfach nicht zu mögen, wenn man andauernd herumlächelte, und als sie sich die Lippen mit Labello einrieb, machte sie es auch ganz zackig – als sollte es unter keinen Umständen schön aussehen. Was aber grade gut aussah. Sodass ich anscheinend doch wieder lächelte.
    «Jetzt guck mir doch nicht die ganze Zeit LÄCHELND auf die LIPPEN», sagte sie. «Dann kann ich überhaupt nicht mehr reden!»
    Aber sie redete trotzdem weiter, und ihre Wangen wurden schon rot, weil sie zu wenig Luft holte beim Reden, und ich stellte mir vor, dass es Bilder in meinem Gehirn waren, die ich sah, schöne Bilder: das pinke Badehandtuch, ihre aufgeschürften Knie, die Pumpbewegungen ihrer Hand, mit der sie ihre stolpernde Stimme begleitete. Als wollte sie sich abbremsen, weil sie wieder zu schnell geworden war beim Reden.
    Ich dachte, dass ich sie vielleicht doch noch mal küssen sollte, dass es jetzt so weit war, dass man sich doch noch mal ausziehen könnte. Aber in dem Moment hörten wir einen Schrei:
    «WEG!»

    Erik Presley stand am anderen Ufer. Er sah uns erschrocken an und hob die Hände, als würden wir mit einer Pistole auf ihn zielen, aber es war gar nicht wegen uns, es war wegen Robert: Er lief vor und zurück und schlug hektisch mit einem Stock auf ihn ein. Erik drehte sich hilflos mit erhobenen Händen hin und her, und Robert schlug drauflos und versuchte, ihn im Gesicht zu treffen, und dann umklammerte er ihn plötzlich und wollte ihm anscheinend ein Bein stellen und ihn umreißen, obwohl Erik mindestens das Dreifache von ihm wog.
    «SPION! SPION!»
    «WEG!», rief Erik.
    Ana war auch aufgestanden. Robert schien völlig durchgedreht zu sein: Er hatte jetzt wieder seinen Stock, schlug Erik voll ins Gesicht, und Erik taumelte zur Seite und legte den Kopf in den Nacken, und das Blut floss wie Wasser aus seiner Nase, ehe er Robert endlich mit einer Hand wegschubste und stolpernd zwischen den Büschen verschwand.
    Robert starrte zu uns rüber, als wäre er plötzlich gelähmt.
    Als wüsste er selber nicht so genau, was er da gerade gemacht hatte.
    «Was ist los? Bist du verrückt?», rief ich.
    «Erik hat euch beobachtet, er hat euch verfolgt!»
    «Unsinn, er kommt immer nach der Arbeit hier lang. Du bist der, der uns die ganze Zeit beobachtet!»
    «Nein, nein, er hat euch verfolgt. Sie verfolgen euch jetzt alle!»

7
    Es war so, dass er ernsthaft verrückt wurde, während ich meinen Rucksack packte und mit den Gedanken schon woanders war. Mit zwölf Jahren war er schon mal drei Monate in der Jugendpsychiatrie gewesen, er hatte es mir selbst erzählt, wobei er es Kur genannt hatte, als ginge es eher um eine Verspannung als um eine wirkliche Krankheit. Frances wirkte besorgt, wartete aber noch ein paar Tage ab, bevor sie Termine beim Psychiater machte. Ich nahm an, dass ihr Zögern mit etwas Esoterischem zusammenhing, dass sie seine Krankheit am liebsten auch als eine Verspannung sehen wollte, als etwas Energetisches, das sie mit ihren Kräutern behandeln könnte, bevor sie einsah, dass sie aufgeben und richtige Medikamente besorgen musste.

    Er stand auf der Geröllhalde und nahm

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