Das große Leuchten (German Edition)
gewesen, die aus seinem Mund gekommen waren.
8
Die Augen zulassen. Ich hatte es mir als Befehl ins Bewusstsein gesetzt, in der Nacht unserer Flucht. Ich lag auf dem Gästebett und konzentrierte mich auf das, was gleich kommen würde. Ich stellte mir vor, wie sich mein Rucksack gleich auf dem Rücken anfühlen würde: kompakt und fest und nach einer Weile dann nass und schwer, weil es draußen regnete. Ich stellte mir den Wind vor und wie meine Füße im Schlamm einsinken würden; das blaue Licht der Tankstelle und wie wir sie ausrauben würden.
Und dann dachte ich, dass es erstaunlich war, dass es jetzt so ist , dass ich hier durch den Regen laufe mit den Daumen unter den Riemen meines Rucksacks. Dass die Ideen aus meinem Kopf sich in der Wirklichkeit ausbreiten. Während das Lachen in der Dunkelheit aber keine Idee war und auch nicht aus mir selbst herauskam, sondern aus Ana, die dort ganz deutlich stand und ganz deutlich nach mir rief.
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Tyrhkrdn
1
Um mich herum setzt sich der Raum zusammen, als ich zu blinzeln beginne: der weinrote Teppich, die lehmfarbenen Wände, Abu und Robert, die noch einen Moment verschwommen sind, bevor sie eine feste Form annehmen.
Bevor sich alles wieder zusammengesetzt hat.
Und zwar auf die genau richtige Weise, denke ich, denn Abu hat mit diesem Menschen namens Tyrhkrdn telefoniert, der uns zu Ana bringen wird, und wir werden ihn um zwei Uhr nachts treffen, in neun Stunden. Ich bin so erleichtert, dass ich kurz Angst habe, doch nur zu träumen, aber ich blinzle und blinzle, und hier sind wir ja, ganz deutlich in diesem Haus aus Lehm. Robert ausgestreckt auf dem Teppich, noch müde von der langen Nacht, Abu mit dem Deutschland-Bildband, das Kinn in der Hand. Und ich, denke ich, mit diesem Körper und diesen Beinen, in diesem Flammenhemd, vor meinem Tee.
Was hat Tyrhkrdn gesagt?
Dass wir uns keine Sorgen machen sollen, dass es Ana und ihrer Mutter gutgeht, dass er uns zu ihnen führt, wenn wir versprechen, mit niemandem darüber zu reden, und zwar wirklich mit niemandem , hat Abu übersetzt.
Anas Gesicht – es entsteht als ruhiges Bild vor meinem inneren Auge, sie hat eines dieser Gesichter, die sofort abrufbar sind, fotorealistisch; ich stelle mir vor, wie sie gucken wird, wenn sie mich sieht. Offenbar steckt sie nicht wirklich in großen Schwierigkeiten, zumindest klingt es nicht danach. Trotzdem notwendig , dass ich jetzt bei ihr bin, denke ich. Dass ich jetzt ihre Mutter und ihr Mutterland sehe. Es folgt wahrscheinlich irgendeinem Muster, auch wenn man so was nicht ganz durchschaut, einer Kettenreaktion, die mit dem Tag unserer Flucht begonnen haben muss. Auch Abu sagt, dass es bei so was immer Zusammenhänge gebe, die sich einem nicht sofort erschließen.
Wobei es kurz klingt, als fände er es eigentlich gar nicht erstaunlich, dass es so einfach ging. Als hätte er doch von Anfang an etwas mehr gewusst. Aber das liegt sicher an meiner Aufregung. Vollkommen falsch, jetzt irgendwas in Abu reinzudenken, sage ich mir.
Dass eben alles einer Ordnung folge, wie sie dem Schöpfer gefalle, erzählt er uns jetzt. Wobei er aber schon lange kein Moslem mehr sei, das nicht, damit wolle er nichts mehr zu tun haben – er meine einen allgemeinen Gott. Nichts mit dem Propheten. Erst recht nicht, nachdem er hier im Gefängnis gesessen habe.
Dabei lächelt er uns an.
Es sei so, dass er es bisher nicht erzählen wollte, damit wir uns keine übertriebenen Sorgen machten wegen Ana. Aber jetzt, da sich die Situation geklärt habe, könne er es ja tun – nämlich sei er vor zwei Jahren auf offener Straße festgenommen worden. Weil er mit einem Freund über eine Kleidervorschrift gelästert habe. Und dann sei er in eine Zelle gekommen und habe dort sechs Wochen gesessen, und nur alle paar Tage hätten sie ihm einen schwarzen Brei durch die Klappe reingegeben. Und einmal am Tag hätte er ins Verhörzimmer gemusst, sie hätten ihn beschuldigt, Fuck Khomeini gesagt zu haben, dabei habe er das gar nicht gesagt, und dann hätten sie Zigaretten auf ihm ausgedrückt. Und ihn auch an den Füßen aufgehängt und mit Stöcken geschlagen.
Robert und ich sehen uns an.
Es wird immer extremer, was er uns da ganz unbekümmert erzählt, er steht sogar auf und macht uns zur Veranschaulichung Turnübungen vor, als führte er eine lustige Kindergeschichte vor: So hätten sie ihn immer an der Wand festgekettet, und so hätten sie ihn dann in der Maschine
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