Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
andern abpflücken konnte und ein ganzes Schürzchen voll mit herunter brachte. Die Mutter nahm sie ihm ab, und statt dass sie, Einäuglein und Dreiäuglein dafür das arme Zweiäuglein hätten besser behandeln sollen, so wurden sie nur neidisch dass es allein die Früchte holen konnte und gingen noch härter mit ihm um.
Es trug sich zu, als sie einmal beisammen an dem Baum standen, dass ein junger Ritter daher kam. „Geschwind, Zweiäuglein,“ riefen die zwei Schwestern, „kriech unter, dass wir uns deiner nicht schämen müssen“ und stürzten über das arme Zweiäuglein in aller Eil ein leeres Fass, das gerade neben dem Baume stand, und schoben die goldenen Äpfel, die es abgebrochen hatte, auch darunter. Als nun der Ritter näher kam, war es ein schöner Herr, der hielt still, bewunderte den prächtigen Baum von Gold und Silber und sprach zu den beiden Schwestern „wem gehört dieser schöne Baum? wer mir einen Zweig davon gäbe, könnte dafür verlangen was er wollte.“ Da antworteten Einäuglein und Dreiäuglein der Baum gehörte ihnen zu, und sie wollten ihm einen Zweig wohl abbrechen. Sie gaben sich auch beide große Mühe, aber sie waren es nicht im Stande, denn die Zweige und Früchte wichen jedesmal vor ihnen zurück. Da sprach der Ritter „das ist ja wunderlich, dass der Baum euch zugehört und ihr doch nicht Macht habt etwas davon abzubrechen.“ Sie blieben dabei, der Baum wäre ihr Eigentum. Indem sie aber so sprachen, rollte Zweiäuglein unter dem Fasse ein paar goldene Äpfel heraus, so dass sie zu den Füßen des Ritters liefen, denn Zweiäuglein war bös dass Einäuglein und Dreiäuglein nicht die Wahrheit sagten. Wie der Ritter die Äpfel sah, erstaunte er und fragte wo sie herkämen. Einäuglein und Dreiäuglein antworteten sie hätten noch eine Schwester, die dürfte sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur zwei Augen hätte, wie andere gemeine Menschen. Der Ritter aber verlangte sie zu sehen und rief „Zweiäuglein, komm hervor.“ Da kam Zweiäuglein ganz getrost unter dem Fass hervor, und der Ritter war verwundert über seine große Schönheit, und sprach „du, Zweiäuglein, kannst mir gewiss einen Zweig von dem Baum abbrechen.“ „Ja,“ antwortete Zweiäuglein, „das will ich wohl können, denn der Baum gehört mir.“ Und stieg hinauf und brach mit leichter Mühe einen Zweig mit seinen silbernen Blättern und goldenen Früchten ab, und reichte ihn dem Ritter hin. Da sprach der Ritter „Zweiäuglein, was soll ich dir dafür geben?“ „Ach,“ antwortete Zweiäuglein, „ich leide Hunger und Durst, Kummer und Not vom frühen Morgen bis zum späten Abend: wenn ihr mich mitnehmen und erlösen wollt, so wäre ich glücklich.“ Da hob der Ritter das Zweiäuglein auf sein Pferd und brachte es heim auf sein väterliches Schloss: dort gab er ihm schöne Kleider, Essen und Trinken nach Herzenslust, und weil er es so lieb hatte, ließ er sich mit ihm einsegnen, und ward die Hochzeit in großer Freude gehalten.
Wie nun Zweiäuglein so von dem schönen Rittersmann fortgeführt ward, da beneideten die zwei Schwestern ihm erst recht sein Glück. „Der wunderbare Baum bleibt uns doch,“ dachten sie, „können wir auch keine Früchte davon brechen, so wird doch jedermann davor stehen bleiben, zu uns kommen und ihn rühmen; wer weiß wo unser Weizen noch blüht!“ Aber am andern Morgen war der Baum verschwunden und ihre Hoffnung dahin. Und wie Zweiäuglein zu seinem Kämmerlein hinaussah, so stand er zu seiner großen Freude davor und war ihm also nachgefolgt.
Zweiäuglein lebte lange Zeit vergnügt. Einmal kamen zwei arme Frauen zu ihm auf das Schloss und baten um ein Almosen. Da sah ihnen Zweiäuglein ins Gesicht und erkannte ihre Schwestern Einäuglein und Dreiäuglein, die so in Armut geraten waren, dass sie umherziehen und vor den Türen ihr Brot suchen mussten. Zweiäuglein aber hieß sie willkommen und tat ihnen Gutes und pflegte sie, also dass die beiden von Herzen bereuten was sie ihrer Schwester in der Jugend Böses angetan hatten.
Der Fuchs und das Pferd
Es hatte ein Bauer ein treues Pferd, das war alt geworden und konnte keine Dienste mehr tun, da wollte ihm sein Herr nichts mehr zu fressen geben und sprach „brauchen kann ich dich freilich nicht mehr, indes mein ich es gut mit dir, zeigst du dich noch so stark, dass du mir einen Löwen hierher bringst, so will ich dich behalten, jetzt aber mach dich fort aus meinem Stall,“ und jagte es damit ins weite Feld.
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