Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
mich meine Schwestern und meine Mutter nicht leiden, stoßen mich aus einer Ecke in die andere, werfen mir alte Kleider hin und geben mir nichts zu essen als was sie übrig lassen. Heute haben sie mir so wenig gegeben, dass ich noch ganz hungrig bin.“ Sprach die weise Frau „Zweiäuglein, trockne dir dein Angesicht, ich will dir etwas sagen, dass du nicht mehr hungern sollst. Sprich nur zu deiner Ziege
„Zicklein, meck,
Tischlein, deck,“
so wird ein sauber gedecktes Tischlein vor dir stehen und das schönste Essen darauf, dass du essen kannst so viel du Lust hast. Und wenn du satt bist und das Tischlein nicht mehr brauchst, so sprich nur
„Zicklein, meck,
Tischlein, weg,“
so wirds vor deinen Augen wieder verschwinden.“ Darauf ging die weise Frau fort. Zweiäuglein aber dachte „ich muss gleich einmal versuchen ob es wahr ist, was sie gesagt hat, denn mich hungert gar zu sehr“ und sprach
„Zicklein, meck,
Tischlein, deck,“
und kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, so stand da ein Tischlein mit einem weißen Tüchlein gedeckt, darauf ein Teller mit Messer und Gabel und silbernem Löffel, die schönsten Speisen standen rund herum, rauchten und waren noch warm, als wären sie eben aus der Küche gekommen. Da sagte Zweiäuglein das kürzeste Gebet her, das es wusste, „Herr Gott, sei unser Gast zu aller Zeit, Amen,“ langte zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau gelehrt hatte,
„Zicklein, meck,
Tischlein, weg.“
Alsbald war das Tischchen und alles, was darauf stand wieder verschwunden. „Das ist ein schöner Haushalt“ dachte Zweiäuglein und war ganz vergnügt und guter Dinge.
Abends, als es mit seiner Ziege heim kam, fand es ein irdenes Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen „es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das lässt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde: das muss andere Wege gefunden haben.“ Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten was es da vor hätte, und ob ihm jemand etwas Essen und Trinken brächte.
Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach „ich will mit ins Feld und sehen dass die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird.“ Aber Zweiäuglein merkte was Einäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras und sprach „komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen.“ Einäuglein setzte sich hin und war von dem ungewohnten Weg und von der Sonnenhitze müde, und Zweiäuglein sang immer
„Einäuglein, wachst du?
Einäuglein, schläfst du?“
Da tat Einäuglein das eine Auge zu und schlief ein. Und als Zweiäuglein sah dass Einäuglein fest schlief und nichts verraten konnte, sprach es
„Zicklein, meck,
Tischlein, deck,“
und setzte sich an sein Tischlein und aß und trank bis es satt war, dann rief es wieder
„Zicklein, meck,
Tischlein, weg,“
und alles war augenblicklich verschwunden. Zweiäuglein weckte nun Einäuglein und sprach „Einäuglein, du willst hüten und schläfst dabei ein, derweil hätte die Ziege in alle Welt laufen können; komm, wir wollen nach Haus gehen.“ Da gingen sie nach Haus, und Zweiäuglein ließ wieder sein Schüsselchen unangerührt stehen, und Einäuglein konnte der Mutter nicht verraten warum es nicht essen wollte und sagte zu seiner Entschuldigung „ich war draußen eingeschlafen.“
Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiäuglein „diesmal sollst du mit gehen und Acht haben ob Zweiäuglein draußen isst und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muss es heimlich.“ Da trat Dreiäuglein zum Zweiäuglein und sprach „ich will mitgehen und sehen ob auch die Ziege recht gehütet und ins Futter getrieben wird.“ Aber Zweiäuglein merkte was Dreiäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras und sprach „wir wollen uns dahin setzen, Dreiäuglein, ich will dir was vorsingen.“ Dreiäuglein setzte sich und war müde von dem Weg und der Sonnenhitze, und Zweiäuglein hub wieder das vorige Liedlein
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