Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
„Ich muss sie tragen, lieber Herr,“ antwortete sie, „reicher Leute Kinder brauchen es nicht. Aber beim Bauer heißts
schau dich nicht um,
dein Buckel ist krumm.“
„Wollt ihr mir helfen?“ sprach sie, als er bei ihr stehen blieb, „ihr habt noch einen geraden Rücken und junge Beine, es wird euch ein leichtes sein. Auch ist mein Haus nicht so weit von hier: hinter dem Berge dort steht es auf einer Heide. Wie bald seid ihr da hinaufgesprungen.“ Der junge Mann empfand Mitleid mit der Alten, „zwar ist mein Vater kein Bauer,“ antwortete er, „sondern ein reicher Graf, aber damit ihr seht dass die Bauern nicht allein tragen können, so will ich euer Bündel aufnehmen.“ „Wollt ihrs versuchen,“ sprach sie, „so soll mirs lieb sein. Eine Stunde weit werdet ihr freilich gehen müssen, aber was macht euch das aus! Dort die Äpfel und Birnen müsst ihr auch tragen.“ Es kam dem jungen Grafen doch ein wenig bedenklich vor, als er von einer Stunde Wegs hörte, aber die Alte ließ ihn nicht wieder los, packte ihm das Tragtuch auf den Rücken und hing ihm die beiden Körbe an den Arm. „Seht ihr, es geht ganz leicht,“ sagte sie. „Nein es geht nicht leicht“ antwortete der Graf und machte ein schmerzliches Gesicht, „der Bündel drückt ja so schwer, als wären lauter Wackersteine darin, und die Äpfel und Birnen haben ein Gewicht, als wären sie von Blei; ich kann kaum atmen.“ Er hatte Lust alles wieder abzulegen, aber die Alte ließ es nicht zu. „Seht einmal,“ sprach sie spöttisch, „der junge Herr will nicht tragen was ich alte Frau schon so oft fortgeschleppt habe. Mit schönen Worten sind sie bei der Hand, aber wenns Ernst wird, so wollen sie sich aus dem Staub machen. Was steht ihr da,“ fuhr sie fort, „und zaudert, hebt die Beine auf. Es nimmt euch niemand den Bündel wieder ab.“ So lange er auf ebener Erde ging, wars noch auszuhalten, aber als sie an den Berg kamen und steigen mussten, und die Steine hinter seinen Füßen hinabrollten, als wären sie lebendig, da gings über seine Kräfte. Die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne und liefen ihm bald heiß bald kalt über den Rücken hinab. „Mütterchen,“ sagte er, „ich kann nicht weiter, ich will ein wenig ruhen.“ „Nichts da,“ antwortete die Alte, „wenn wir angelangt sind, so könnt ihr ausruhen, aber jetzt müsst ihr vorwärts. Wer weiß wozu euch das gut ist.“ „Alte, du wirst unverschämt,“ sagte der Graf und wollte das Tragtuch abwerfen, aber er bemühte sich vergeblich: es hing so fest an seinem Rücken, als wenn es angewachsen wäre. Er drehte und wendete sich, aber er konnte es nicht wieder los werden. Die Alte lachte dazu und sprang ganz vergnügt auf ihrer Krücke herum. „Erzürnt euch nicht, lieber Herr,“ sprach sie, „ihr werdet ja so roth im Gesicht, wie ein Zinshahn. Tragt euern Bündel mit Geduld, wenn wir zu Hause angelangt sind, so will ich euch schon ein gutes Trinkgeld geben.“ Was wollte er machen? er musste sich in sein Schicksal fügen und geduldig hinter der Alten herschleichen. Sie schien immer flinker zu werden und ihm seine Last immer schwerer. Auf einmal tat sie einen Satz, sprang auf das Tragtuch und setzte sich oben darauf; wie zaundürre sie war, so hatte sie doch mehr Gewicht als die dickste Bauerndirne. Dem Jünglinge zitterten die Knie, aber wenn er nicht fortging, so schlug ihn die Alte mit einer Gerte und mit Brennesseln auf die Beine. Unter beständigem Ächzen stieg er den Berg hinauf und langte endlich bei dem Haus der Alten an, als er eben niedersinken wollte. Als die Gänse die Alte erblickten, streckten sie die Flügel in die Höhe und die Hälse voraus, liefen ihr entgegen und schrien ihr „wulle, wulle.“ Hinter der Herde mit einer Ruthe in der Hand ging eine bejahrte Trulle, stark und groß, aber hässlich wie die Nacht. „Frau Mutter,“ sprach sie zur Alten, „ist euch etwas begegnet? ihr seid so lange ausgeblieben.“ „Bewahre, mein Töchterchen,“ erwiderte sie, „mir ist nichts Böses begegnet, im GegenTeil der liebe Herr da hat mir meine Last getragen; denk dir, als ich müde war, hat er mich selbst noch auf den Rücken genommen. Der Weg ist uns auch gar nicht lang geworden, wir sind lustig gewesen und haben immer Spaß miteinander gemacht.“ Endlich rutschte die Alte herab, nahm dem jungen Mann den Bündel vom Rücken und die Körbe vom Arm, sah ihn ganz freundlich an und sprach „nun setzt euch auf die Bank vor die Türe und ruht euch
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