Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
lang ein großes Fest gefeiert werden, und das ganze Land ward dazu eingeladen. „Nun will ich das Letzte versuchen“ dachte das Mädchen, und als der Abend kam, ging es zu dem Stein, unter dem es seine Schätze vergraben hatte. Sie holte das Kleid mit den goldnen Sonnen hervor, legte es an und schmückte sich mit den Edelsteinen. Ihre Haare, die sie unter einem Tuch verborgen hatte, band sie auf, und sie fielen in langen Locken an ihr herab. So ging sie nach der Stadt und ward in der Dunkelheit von niemand bemerkt. Als sie in den hell erleuchteten Saal trat, wichen alle voll Verwunderung zurück, aber niemand wusste wer sie war. Der Königssohn ging ihr entgegen, doch er erkannte sie nicht. Er führte sie zum Tanz und war so entzückt über ihre Schönheit dass er an die andere Braut gar nicht mehr dachte. Als das Fest vorüber war, verschwand sie im Gedränge und eilte vor Tagesanbruch in das Dorf, wo sie ihr Hirtenkleid wieder anlegte.
Am andern Abend nahm sie das Kleid mit den silbernen Monden heraus und steckte einen Halbmond von Edelsteinen in ihre Haare. Als sie auf dem Fest sich zeigte, wendeten sich alle Augen nach ihr, aber der Königssohn eilte ihr entgegen, und ganz von Liebe erfüllt tanzte er mit ihr allein und blickte keine andere mehr an. Ehe sie wegging, musste sie ihm versprechen den letzten Abend nochmals zum Fest zu kommen.
Als sie zum drittenmal erschien, hatte sie das Sternenkleid an, das bei jedem ihrer Schritte funkelte, und Haarband und Gürtel waren Sterne von Edelsteinen. Der Königssohn hatte schon lange auf sie gewartet und drängte sich zu ihr hin. „Sage mir nur wer du bist,“ sprach er, „mir ist als wenn ich dich schon lange gekannt hätte.“ „weißt du nicht,“ antwortete sie, „was ich tat, als du von mir schiedest?“ Da trat sie zu ihm heran und küsste ihn auf den linken Backen: in dem Augenblick fiel es wie Schuppen von seinen Augen und er erkannte die wahre Braut. „Komm,“ sagte er zu ihr, „hier ist meines Bleibens nicht länger,“ reichte ihr die Hand und führte sie hinab zu dem Wagen. Als wäre der Wind vorgespannt, so eilten die Pferde zu dem WunderSchloss. Schon von weitem glänzten die erleuchteten Fenster. Als sie bei der Linde vorbei fuhren, schwärmten unzählige Glühwürmer darin, sie schüttelte ihre Äste und sendete ihre Düfte herab. Auf der Treppe blühten die Blumen, aus dem Zimmer schallte der Gesang der fremden Vögel, aber in dem Saal stand der ganze Hof versammelt und der Priester wartete um den Bräutigam mit der wahren Braut zu vermählen.
Spindel, Weberschiffchen und Nadel
Es war einmal ein Mädchen, dem starb Vater und Mutter, als es noch ein kleines Kind war. Am Ende des Dorfes wohnte in einem Häuschen ganz allein seine Pate, die sich von Spinnen Weben und Nähen ernährte. Die Alte nahm das verlassene Kind zu sich, hielt es zur Arbeit an und erzog es in aller Frömmigkeit. Als das Mädchen fünfzehn Jahr alt war, erkrankte sie, rief das Kind an ihr Bett und sagte „liebe Tochter, ich fühle dass mein Ende herannaht, ich hinterlasse dir das Häuschen, darin bist du vor Wind und Wetter geschützt, dazu Spindel, Weberschiffchen und Nadel, damit kannst du dir dein Brot verdienen.“ Sie legte noch die Hände auf seinen Kopf, segnete es und sprach „behalt nur Gott in dem Herzen, so wird dirs wohl gehen.“ Darauf Schloss sie die Augen, und als sie zur Erde bestattet wurde, ging das Mädchen bitterlich weinend hinter dem Sarg und erwies ihr die letzte Ehre.
Das Mädchen lebte nun in dem kleinen Haus ganz allein, war fleißig, spann, webte und nähte, und auf allem, was es tat, ruhte der Segen der guten Alten. Es war als ob sich der Flachs in der Kammer von selbst mehrte, und wenn sie ein Stück Tuch oder einen Teppich gewebt, oder ein Hemd genäht hatte, so fand sich gleich ein Käufer, der es reichlich bezahlte, so dass sie keine Not empfand und andern noch etwas mitteilen konnte.
Um diese Zeit zog der Sohn des Königs im Land umher und wollte sich eine Braut suchen. Eine arme sollte er nicht wählen und eine reiche wollte er nicht. Da sprach er „die soll meine Frau werden, die zugleich die ärmste und die reichste ist.“ Als er in das Dorf kam, wo das Mädchen lebte, fragte er, wie er überall tat, wer in dem Ort die reichste und ärmste wäre. Sie nannten ihm die reichste zuerst: die ärmste, sagten sie, wäre das Mädchen, das in dem kleinen Haus ganz am Ende wohnte. Die Reiche saß vor der Haustür in vollem Putz, und
Weitere Kostenlose Bücher