Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
das Haus führen, wo er ein gutes Essen und ein prächtiges Bett bekam. Ehe er schlafen ging, kam die Frau, setzte sich zu ihm und sprach: „Erzählt mir jetzt eure Geschichte, das ist meine Bezahlung.“ „Die möchte ich lieber verschweigen,“ antwortete der Prinz, „denn sie ist sehr traurig, aber wenn ihr sie hören wollt, so erzähle ich sie.“ Und nun fing er an und legte ihr Alles auseinander, wie es ihm ergangen war. Die Wirtin wurde immer aufmerksamer, als er aber daran kam, wie er die schöne Jungfrau aus dem Loche erlöst und sich mit ihr verlobt hatte, da Schloss sie ihn in ihre Arme und rief unter blutigen Tränen: „O mein lieber Bräutigam, ach dass ich dich also wiederfinden muss!“ Wie war das eine so große Freude und dabei eine so tiefe Betrübnis, als er ihr erzählte, wie seine Mutter und der falsche Greis an ihm gehandelt hatten. Die schöne Jungfrau konnte ihrer Tränen nicht Herr werden, wenn sie ihn ansah und die eingesunkenen leeren Augenhöhlen erblickte. Als er seine Erzählung zu Ende hatte, ließ sie ihn schön kleiden, führte ihn zu ihrem Vater und sprach: „Lieber Vater, heut ist mein schönster Lebenstag, denn der liebe Gott hat mir meinen rechten Erlöser und einzigen Bräutigam wiedergegeben;“ und sie ließ ihn dem Könige die ganze Geschichte erzählen. Der König glaubte ihm zwar, doch da die erste Freude des Wiedersehens seiner Tochter vorüber war, so ärgerte er sich, dass sie einen blinden Prinzen heiraten wollte. Jedenfalls war ihm der Jüngling als Prinz lieber, als der Schiffscapitän, darum tat dieser wohl, sich sogleich aus dem Staube zu machen, als die Sache bekannt wurde. Nun wurde in einer abgelegenen Gegend des Schlossgartens ein kleines Schloss gebaut, die Hochzeit des Prinzen mit der Prinzessin ganz heimlich gefeiert und dann zogen sie in das Schlößchen und bekamen nichts als das Essen von dem Könige; ihre Kleider mussten sie sich selber stellen, daran spann und webte die Prinzessin Tag und Nacht.
Die Hofherren ärgerten sich aber nicht wenig über diese Heirath, denn der Prinz konnte ihnen keine großen Gastmähler geben, worauf sie sehr viel hielten, und Bälle und Tanzbelustigungen wurden gleichfalls keine gehalten, worauf ihre Frauen sehr viel gaben. Zudem wollte es ihnen nicht gefallen, dass sie einmal von einem blinden König regiert werden sollten. Sie verschwuren sich also, sie wollten das Schlößchen, wo der Prinz mit seiner Frau wohnte in die Luft sprengen, und das sollte bald geschehen.
Eines Abends gingen die Beiden aus ihrem Schlößchen in ihr kleines Gärtchen, wo sie der frischen Kühle genießen wollten, und setzten sich unter einen hohen Lindenbaum. Da zog der Prinz sein Einziges vom Finger, was er aus seinem Schloss gerettet hatte, den goldnen Ring und steckte ihn in den Mund, denn er wollte sich einen Zeitvertreib machen und hören, was sich die Vögel wohl erzählten. Da flogen drei Krähen auf den Lindenbaum, die fingen an zu schwätzen und die erste sprach: „Ich weiß etwas, wenn ihr das wüsstet!“ „Was ist das denn?“ fragten die beiden andern, „wir wissen auch etwas.“ „Drüben beim Schultheiß ist ein Pferd gefallen, das wird ein köstliches Aas, ah das soll mal schmecken,“ sprach die erste Krähe. Da begann die zweite und sprach: „Ich weiß etwas andres, wenn das die zwei wüssten, die da unterm Baume sitzen, dann säßen sie nicht da.“ „Was ist das?“ fragten die beiden andern. „Diesen Abend um zehn Uhr wird das Schlößchen, worin sie wohnen, in die Luft gesprengt, das haben die Hofherren ihnen gebraut.“ Nun sprach die dritte Krähe: „Ich weiß etwas, wenn das der blinde Prinz da drunten wüsste, der wäre erst froh!“ „Was ist das?“ fragten die beiden andern. „Diese Nacht zwischen elf und zwölf Uhr fällt ein Thau vom Himmel, wer sich damit die Augen bestreicht, der wird auf der Stelle sehend. Nun kommt zu dem toten Gaul, bevor ihn andre holen.“ Da erhoben sie sich wieder und flogen weg.
Der Prinz steckte seinen Ring wieder an und sprach zu seiner Frau: „Komm, wir wollen ein Stückchen weiter in den Wald hinein gehn, der Abend ist ja so schön.“ Da folgte sie ihm. Als sie kaum eine Viertelstunde weit waren, blitzte es plötzlich und dann tats einen Knall, als wenn tausend Kanonen auf einmal losgeschossen würden. Die Prinzessin erschrak, so dass sie fast ohnmächtig zusammen gesunken wäre; als der Prinz ihr aber die ganze Geschichte erzählte, da freute sie sich und beide
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