Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
dachte Tag und Nacht nur nach, wie sie den guten Prinzen verderben könne. Sie tat aber nur um so freundlicher gegen ihn und sagte ihm jeden Tag aufs neue vor, wie sie so glücklich sei, einen solchen Sohn zu haben und dass sie ihn mehr liebe, als Alles in der Welt.
Als der Prinz schon ein paar Tage in dem Schlosse gewesen war, ging er eines Tages auf dem Wall spazieren. Da hörte er ein jämmerliches Aechzen und Stöhnen, das lautete grade, als käme es aus der Erde. Er schwang sein Schwert, da kamen die Diener und er frug sie, woher diese Töne kämen und wer also ächze. Die Diener sprachen: „Wir wissen es nicht, das weiß nur der Greis, welcher in dem Saale schläft, denn er hat die Schlüssel zu den unterirdischen Gängen.“ Der Prinz befahl ihnen, den Greis zu holen, allein der wollte nicht hervor, bis der Prinz ihm drohen ließ, er werde ihn mit Gewalt holen lassen. Da kam er und brachte ein Bund Schlüssel. Er rückte an einem Stein in der Mauer, da erschien eine kleine Türe, welche er aufSchloss und die in einen dunkeln Gang führte. „Geht nun hinein“ sprach er mürrisch zu dem Prinzen, doch dieser hütete sich wohl und zwang den Greis, voran zu gehn. Je weiter sie in dem Gange kamen, um so näher lautete das Aechzen. Endlich standen sie vor einer zweiten eisernen Thür und als der Greis auch diese aufSchloss, war da ein halbfinsteres Loch, worin das schmuzige Wasser und alle Unreinlichkeit aus dem Schlosse zusammenfloss. In diesem schrecklichen Aufenthalt saß ein Mädchen, dem die Kleider am Leibe fast verfault waren. Als es den Greis erblickte, rief es: „Gehe nur weg oder gib mir den Tod, damit meine Qualen ein Ende nehmen.“ Da trat der Prinz hervor aus dem dunkeln Gange, und befahl dem Greise, das Mädchen herauszuführen. Er zögerte Anfangs, aber da hob der Prinz sein Schwert und nun folgte er dem Befehl. Die Jungfrau aber rief flehentlich: „Ach führet mich nicht an das Licht des Tages, bevor ich Kleider habe, oder lasset mich hier sterben.“ Der Prinz tröstete sie mit freundlichen Worten und sprach: „Ihr seit gerettet aus eurer Höhle, und sollt Alles haben, was ihr begehrt.“ Dann trieb er den Greis ins Schloss zurück und schickte der Jungfrau zwei Dienerinnen mit Wasser zum Waschen, mit schönen Kleidern und mit guter kräftiger Nahrung, damit sie sich ein wenig erhole. Ueber eine Weile trat sie aus dem dunkeln Gang hervor und wie war sie so schön. Ihre Haare waren so goldig, als ob sie der Sonne ihre Strahlen genommen hätte, um ihr Haupt damit zu zieren und ihre Augen waren so blau, wie der Himmel am Abend, ihr Gesicht war aber grade, als ob es mit Lilien und Rosen bemalt wäre. Der Prinz war so entzückt, als er sie sah, dass er sich nicht halten konnte und auf sie zueilte, um ihr die Hand zum freundlichen Gruße zu bieten. Er nahm sie mit sich in das Schloss, da frug er sie, woher sie sei und wie sie in das schreckliche Gefängniß komme. Sie erzählte ihm: „Ich bin eine Königstochter und meines Vaters Königreich liegt weit jenseits der See. Eines Tages ging ich mit meinen Dienerinnen am Ufer der See spazieren, da kam plötzlich ein Schiff mit Seeräubern, welche mich raubten und auf ihr Schiff schleppten. Sie verkauften mich dem falschen Greis, welcher damals in diesem Schlosse herrschte und dieser ließ mir nun Tag und Nacht keine Ruhe und wollte, ich solle seine Gemahlin werden. Als ich aber seine Hand verschmähte und nichts von ihm wissen wollte, da warf er mich in jenes schreckliche Loch, wo er mir nur alle drei Tage Brot und Wasser brachte und mich dabei fragte, ob ich meinen Sinn bald ändere. Da ich das nicht wollte, so ließ er mich dort, bis ich in den Zustand kam, in welchem ihr mich gefunden habt.“ Da nun Mitleid und Liebe gute Freundschaft halten und der Prinz schon gleich als er sie gesehen für sie eingenommen war, so entbrannte er nun in heißer Liebe zu ihr und sprach: „Habet ihr des Greises Hand verschmäht, so biete ich euch nun die meine an, denn ohne euch kann ich nicht mehr leben und wenn ihr nicht meine Gattin werden wollt, so will ich nie eine andere Frau.“ Der schönen Prinzessin gefiel der Prinz besser als der Greis, sie sprach in ihrer Unschuld: „Ich habe euch so lieb, dass ich nie einen andern zum Gemahl möchte, als euch.“ Da küssten sie einander und sprangen fröhlich herum und zu der alten Königin. Der war es natürlich ein Stich durchs Herz, als sie das hörte und jetzt haßte sie den Prinzen doppelt und dreifach. Sie
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