Das Große Spiel
mit dem Regenten gesprochen«, jammerte der Duc d'Orleans. Er saß in seinen Exkrementen und begann wie ein kleines Kind zu weinen.
Voller Verachtung blickte John Law auf den Regenten hinunter: »Sie haben Frankreich das Vertrauen genommen, das Vertrauen in mein System. Die Aktienkurse befinden sich im freien Fall...«
»Der Regent ist sehr wütend auf Sie, Monsieur«, versuchte Saint Simon die traditionelle Dienstagskonversation zu eröffnen.
»Er hat uns die Suppe eingebrockt«, entgegnete John Law verbittert, »ich habe schon mein halbes Vermögen in die Bank gesteckt, um den Kurs der Mississippi-Aktie zu stützen. Das Vertrauen ist weg. Es genügt jetzt irgendeine Kleinigkeit, und das ganze Gefüge kracht endgültig in sich zusammen.«
»Es wäre wohl das Klügste, Monsieur, wenn Sie Ihr Hab und Gut über die Grenze bringen und mit Ihrer Familie Frankreich verlassen würden. Es wäre nicht ehrenvoll, aber beileibe das Klügste!«
»Der Regent hat mir und meiner Familie die Ausreise verboten. Aber mein Edikt, so hässlich es auch sein mag, wird Früchte tragen, Monsieur le Duc«, erwiderte John Law unbeirrt.
»Unterschätzen Sie da nicht die Fantasie des Menschen, seine übermächtige Gier nach Reichtum und seinen Willen, seinen Besitzstand zu verteidigen?« John Law warf Saint Simon einen fragenden Blick zu. »Sie haben den Menschen den Besitz von Münzgeld über fünfhundert Livre verboten, Monsieur. Und was tun die Menschen jetzt? Sie schmelzen ihre Münzen ein unc lassen sich davon sakrale Gegenstände gießen: Kruzifixe, Kelche für die heilige Messe, Marienbüsten ...«
»Ist das wahr?«, fragte John Law ungläubig.
»Zweifeln Sie etwa an meinen Worten?«, erwiderte Saint Simon gutmütig.
»Dann werde ich jegliches Bargeld verbieten! Ich schaffe das Bargeld vollständig ab!«
»Allmächtiger Gott«, schrie Saint Simon, »seit Abraham für Sarahs Begräbnis vierhundert Silberschekel bezahlte, benutzen die größten und weisesten Völker Metallgeld. Und Sie wollen es ganz abschaffen? Monsieur, das ist Suizid!«
John Laws Kutsche erreichte die Place Louis-le-Grand nicht mehr. Eine wütende Menge hatte seine Kutsche erkannt und zum Halten gebracht. Im nächsten Moment rissen wild gewordene Bürger die Türen auf, andere hackten mit Beilen auf die Räder, spannten die Pferde ab, stiegen aufs Dach. John Law wusste, was zu tun war. Er nahm die Geldschatulle unter seinem Sitz hervor und warf das Geld in hohem Bogen in die Menge. Wie ein Taubenschwarm stoben die Menschen auseinander und balgten sich um jede einzelne Münze, die sie ergattern konnten. John Law benutzte die Gelegenheit, um zu fliehen. Er rannte um sein Leben.
Als John die Place Louis-le-Grand erreichte, kamen ihm bereits seine Gardesoldaten entgegen. Sie postierten sich in zwei Linien vor der Statue des Sonnenkönigs. John rannte an ihnen vorbei. Hinter ihm kam der Kutscher angerannt. Die Menge hatte ihm fast sämtliche Kleider vom Leib gerissen.
Janine hatte die Szene von Madames Schlafzimmerfenster aus beobachtet. Sie schien nicht beunruhigt. Sie entledigte sich ihrer Schürze. Sogar die Unterwäsche streifte sie ab. Dann nahm sie die hochherrschaftlichen Kleidungsstücke von Madame und schlüpfte hinein. Zuletzt griff sie nach dem wunderschönen Mantel mit den blauen Bordüren und zog ihn an. Sie betrachtete sich im Spiegel, drehte sich einmal um die eigene Achse und wählte dann eine Handtasche aus der obersten Schublade der Kommode. Im Schminkkasten fand sie ein paar Goldmünzen, Schmuck und zwei kleine Diamanten. Sie packte alles in ihre Handtasche und horchte dann an der Tür.
Janine floh über den hinteren Teil des Gartens. Die Place Louis-le-Grand konnte sie nicht betreten. Einige Wachsoldaten sahen sie, aber sie schritten nicht ein. Sie hielten sie für Madame, zumal sie die Kapuze weit über die Stirn gezogen hatte. Kein Soldat hätte es gewagt, Madame zur Rede zu stellen.
Aber auch die Taschendiebe und Wegelagerer, die seit einiger Zeit das Anwesen beobachteten, hielten Janine für Madame Law. Sie hefteten sich an ihre Fersen.
Erst als Janine das noble Viertel verlassen hatten, ließen ihre Verfolger alle Vorsicht fahren. Sie schrien, sie solle stehen bleiben. Janine begann zu laufen.
»Das ist die Frau von John Law!«, brüllte einer. Passanten wurden aufmerksam und schlossen sich der Verfolgung an. Auf einer Brücke wurde Janine gestellt. Sie öffnete ihre Tasche und warf das Geld und den Schmuck ihren Verfolgern
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