Das Große Spiel
John, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, an seinen Vater: »Aber das ist doch wie verhext ... dass wir hier an der Grenze ausgerechnet einem Sohn von d'Argenson begegnen.«
»Nein, nein, John«, versuchte John Law seinen Sohn zu trösten, »der Zufall tritt öfter ein, als wir glauben. Das hat mit unserer Wahrnehmung zu tun. Aber mach dir keine Sorgen, ich habe noch zwei Diamanten in meinem Stiefel. Die werden wir in Venedig verpfänden. Wir haben genug, um uns fürs Erste über Wasser zu halten. Und ich bin überzeugt, dass der Regent schon bald die versprochenen fünfhunderttausend Livre freigeben wird.«
»Und wenn er es nicht tut?«, fragte der Junge bekümmert.
»Dann lassen wir uns etwas anderes einfallen, John. Es gibt immer einen Weg, John. Ich bin ein Law, du bist ein Law. Weder unbedeutend noch gering.«
VENEDIG, FRÜHLING 1722
Ein gutes Jahr später saß John Law in einem Kaffeehaus in Venedig und wartete zusammen mit seinem Sohn darauf, dass das Ridotto öffnete. Bis es so weit war, schrieb John Law an seinem Brief, und wenn er aufschaute, sah er das Treiben auf dem Canal Grande. John Law hatte vom Conte Colloredo einen Palazzo gleich neben dem Ridotto gemietet, und das Kaffeehaus lag ebenfalls nur wenige Schritte von Venedigs berühmtem Spielcasino entfernt.
Es war nicht der erste Brief, den John Law an den Regenten schrieb, in dem er ihn an die versprochenen fünfhunderttausend Livre erinnerte. Und es war nicht der erste Brief, in dem er dem Regenten neue Maßnahmen zur Behebung der Staatskrise darlegte. Er empfahl ihm seine Dienste. Aber vor allem erbat er die Freilassung seiner geliebten Catherine und seiner Tochter Kate.
»Er beantwortet Ihre Briefe nicht,Vater«, sagte John junior. Der Schalk war aus seinem Gesicht gewichen. Die vergangenen Monate hatten den jungen Mann reifen lassen. Ernst und entschlossen saß er da und sortierte die Post seines Vaters. »Er wird antworten«, murmelte John Law, »er wird meine Bitten nicht mehr lange ignorieren können.«
Er hatte sich mittlerweile an den fauligen Geruch gewöhnt, der mit dem Nebel aus den Kanälen aufstieg und über die Piazza Grande strich.
»Die Pest hat den gesamten Schiffsverkehr zwischen Europa und der Neuen Welt zum Erliegen gebracht«, sagte der junge John, während er einen weiteren Brief überflog. Sein Vater tat ihm Leid. Es schmerzte ihn, zu sehen, dass der vor kurzem noch mächtigste Mann Europas nun kränkelnd auf einem klapprigen Holzstuhl am Canal Grande saß, im einfachen Dreispitz, eingehüllt in einen schäbigen schwarzen Mantel aus billigem Stoff.
»Die Pest geht vorüber, John«, murmelte sein Vater unbeirrt, »alles geht vorüber.Venedig war einst die mächtigste Wirtschaftsund Seemacht im Mittelmeer. Und heute? Heute ist alles vorbei.«
»Aber Venedig kommt nicht wieder, Vater. Nicht alles wiederholt sich. Nicht alles kehrt zurück.«
»Aber die Pest geht vorüber. Und ich bin mir sicher, dass der Regent mich eines Tages wieder nach Paris zurückberufen wird. Ich wüsste nicht, wer seine Problem sonst lösen könnte.«
»Wieso Paris, Vater? Dänemark und Russland wären bereit, Sie in ihre Dienste zu nehmen. Wieso ausgerechnet Paris?«
»Es geht nicht um die hundert Millionen, die ich in Paris gelassen habe. Es geht um Catherine. Ich würde liebend gern wieder wie früher leben, als Privatmann, ohne die Bürde eines staatlichen Amtes. Venedig ist wunderschön. Alles, was man zum Leben braucht, ist in wenigen Schritten zu erreichen. Ich brauche weder Diener noch Gardisten. Ich war vor langer Zeit einmal in Venedig. Mit Catherine. Du warst noch nicht geboren. Wir hatten nur bescheidene Mittel, aber wir waren glücklich. Hier in Venedig ist die Erinnerung an sie lebendig. Ich dachte, das würde mir gut tun. Aber es schmerzt. Sie ist überall und doch nirgendwo.«
John Law sah auf den Stapel mit den aufgebrochenen Siegeln.
Sein Sohn zuckte verlegen die Schultern: »Es ist nichts Wichtiges dabei. Viele Menschen schreiben, dass sie Euch besuchen möchten. Sie sind bereit, dafür sehr beschwerliche Reisen auf sich zu nehmen.«
John Law räusperte sich, zuerst nur schwach, dann begann er leise zu husten, immer kräftiger und lauter, sein Gesicht lief rot an. Er rang verzweifelt nach Luft. Sein Sohn sprang sofort auf und klopfte ihm mit der flachen Hand auf den Rücken. John Law bat ihn mit einem Handzeichen aufzuhören: »Du brichst mir noch alle Rückenwirbel.«
Der junge John war sehr besorgt: »Der
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