Das Gurren der Tauben (German Edition)
Sie schie ß en, ist das
immer ein Mordversuch ” , unterbrach der Anwalt. “ Sobald das Projektil den Lauf verl ä sst, haben Sie keinen Einfluss mehr auf die Flugbahn. ”
Mir war klar,
dass ich von diesem Mann keine Hilfe zu erwarten hatte. Auch wenn er kein
Parteimitglied war, so machte er doch gemeinsame Sache mit der Stasi.
Zur ü ck im
Vernehmungszimmer, fragte ich den Vernehmer, welches Urteil ich seiner Meinung
nach zu erwarten h ä tte. Er sah mich an und l ä chelte vielsagend: “ Schwer vorauszusagen. Was denken Sie denn selbst? ”
“ Acht Jahre? Aber
ich werde nicht alles absitzen. Die Bundesregierung wird mich freikaufen. Die
sagen doch immer wieder, dass sie eine Obhutspflicht f ü r alle Deutschen
haben. ”
“ Warum nicht.
Vielleicht haben Sie Gl ü ck ” , sagte der
Vernehmer.
In jenen Tagen
wurde ich einem psychologischen Test unterzogen, der Aufschluss geben sollte,
ob eine Verurteilung nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht in Betracht kam
bzw. ob ich f ü r die von mir
begangene Straftat ü berhaupt zur Verantwortung gezogen werden konnte. W ä hrend der Durchf ü hrende mich
untersuchte, sprach er mit mir, wie mit einem Kind. Schlie ß lich wollte er
wissen, ob ich mich von seiner Fragerei in irgendeiner Weise bedroht f ü hlte. Die
Situation in der ich mich befand war alles andere als lustig, doch als er mich
durch seine dicken Brillengl ä ser anschaute und dabei komisch gestikulierte, konnte ich nicht an mich
halten und lachte los.
Der Mann tat so,
als ob mein Lachanfall das Normalste auf der Welt sei. “ Nein, fragen Sie
nur ” , sagte ich, als
ich mich wieder im Griff hatte.
“ Wie w ü rden Sie Ihre
Pers ö nlichkeit
beschreiben? Ich meine, sind Sie sanft oder brutal, eigens ü chtig oder gro ß z ü gig? ” , fragte er.
Ich spielte mit
und sagte, ich sei sanft und gro ß z ü gig.
“ Nein, ganz im
Gegenteil! ” , fuhr er mich
an. “ Sie sind brutal
und selbsts ü chtig! Beweis
daf ü r ist das
Verbrechen, das Sie begangen haben! ”
“ Warum fragen
Sie, wenn Sie ’ s wissen? ”
Statt zu
antworten, sagte er nun wieder ganz sanft und mit seltsamem Blick: “ Sie haben einen
gut trainierten K ö rper. Sie w ä ren besser Sportler geworden statt Verbrecher. ”
Der erste
Verhandlungstag war drei Wochen nach dem Ausbruch. Ich wurde um 7 Uhr aus der
Zelle geholt und zum W ä scheraum gebracht. Dort gab es einen kurzen Disput zwischen dem weiblichen
Feldwebel und mir. Sie wollte, dass ich einen Anzug trage, w ä hrend ich darauf
bestand, meine eigenen Sachen anzuziehen. “ Das Gericht wird das als Missachtung auffassen ” , sagte sie, h ä ndigte mir aber
meine Jeans, das T-Shirt und die Turnschuhe aus, als ich nicht nachgab.
Ein ä lterer Leutnant
belehrte mich: “ Sie werden jetzt zum Gerichtsgeb ä ude gebracht. Bei Fluchtversuch wird von der Schusswaffe
Gebrauch gemacht. Haben Sie das verstanden? ”
Ich nickte.
Mir wurden
Handschellen angelegt. Dann ging ’ s runter in die Tiefgarage. Dort wartete ein zu einem Gef ä ngniswagen
umfunktionierter Barkas B 1000 mit f ü nf kleinen Sitzzellen. Ich wurde in eine von ihnen
gesperrt.
Einige Minuten
sp ä ter, merkte ich
an der Federung, dass noch jemand gebracht wurde. Da sie den Deckel vom Spion
nicht richtig zur ü ckgeschoben hatten, war da ein schmaler Spalt. Ich erhob mich und blickte
hindurch: Ich sah Burkhard, wie er sich geduckt in die Zelle gegen ü ber zw ä ngte. Er trug
einen Anzug.
Der Motor
startete und der Barkas fuhr an. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten.
Als ich
herausgeholt wurde, befand ich mich im Hof des Bezirksgerichts Frankfurt (Oder).
Um mein linkes Handgelenk schwang ein zweites Paar Handschellen, das mich mit
dem rechten Handgelenk eines ü bergewichtigen Feldwebels verband. Eine Knebelkette um mein rechtes
Handgelenk komplettierte die Sicherheitsma ß nahmen.
Eingekeilt
zwischen zwei Stasiknechten, wurde ich in Bewegung gesetzt. Der mit der
Knebelkette zerrte derart, dass ich und mein siamesischer Zwilling kaum folgen
konnten. Nach der ersten Treppe war der Dicke au ß er Atem und bat seinen Genossen um ein moderateres
Tempo.
Wir gingen in
eine Art Wartezimmer. Dort wurde mir die Knebelkette abgenommen. Der Leutnant
holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche: “ Sie haben das Anrecht auf eine Zigarette. Wollen
Sie? ”
Ich nickte.
Der Leutnant nahm
eine aus der Schachtel und steckte sie mir zwischen die Lippen. Der dicke
Feldwebel sah mich freundlich an: “ Sie k
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