Das Gurren der Tauben (German Edition)
zu und nahm sie in die Arme: “ Ich wurde heute offiziell entlassen! ”
Mein Vater
betrat das Wohnzimmer und dann meine Tochter – die f ü r den n ä chsten Tag geplante Ü berraschung. Sie war 11 Jahre alt und hatte mich noch nie bewusst gesehen. Sie
war gro ß artig!
Ich nahm sie in
den Arm und dr ü ckte sie. Sie
lie ß es geschehen
und schaute mich sch ü chtern an.
Es war einer der
intensivsten Momente meines Lebens. Ich war frei und meine Liebsten waren um
mich. Ich sah meine Zukunft vor mir, wie eine lange, gerade Stra ß e. Ich wusste
nicht wohin sie f ü hrt, doch ich hatte ein gutes Gef ü hl.
*
Ich traf meinen
alten Freund Andreas wieder. Er sagte mir, dass er im Dezember '89 entlassen
worden war und inzwischen irgendwo in S ü ddeutschland lebt. Es ginge ihm gut.
Ich war froh das
zu h ö ren.
J ö rg und Burkhard
sah ich nie wieder, erfuhr aber, dass sie ihre Strafen in Bautzen I bzw.
Brandenburg absa ß en und am gleichen Tag wie ich entlassen wurden.
Jahre sp ä ter kehrte ich
an den Ort des Leids zur ü ck. Obwohl ich Bautzen nie m ö gen werde, muss ich zugeben, dass es eine sch ö ne Stadt ist.
Das ehemalige
Stasigef ä ngnis war im
Sommer 1991 geschlossen worden. Die verbliebenen Insassen wurden in andere
Haftanstalten verlegt. Heute beherbergt das Geb ä ude eine Gedenkst ä tte.
Die Leute, die
dort arbeiten waren erfreut, mich zu sehen. Sie gaben mir einen Schl ü sselbund, so
dass ich meine eigene Tour machen konnte. Einiges ist umgebaut worden, was
meiner Ansicht nach die Originalit ä t des Ortes verf ä lscht. Nichtsdestotrotz, kamen verblasste Erinnerungen
auf, als ich den Isolationsbereich und meine alte Zelle I/32 sah.
An manchen
Zellent ü ren waren Tafeln
mit Bildern und Lebensl ä ufen von deren ehemaligen Insassen angebracht. Mein Name und mein Bild waren
nicht da. Es st ö rte mich nicht. Ich war nur verwundert.
Nach dem Besuch
in der Gedenkst ä tte fuhr ich zu einem Dorf ein paar Kilometer von Bautzen entfernt. Mein
Navi f ü hrte mich durch eine
sanfte H ü gellandschaft. Es
war ein eigenartiges Gef ü hl. Ich stellte mir vor, wie Bobby jeden Tag diesen Weg zur Arbeit fuhr, w ä hrend ich in
meiner Einzelzelle sa ß .
Ein paar Wochen
zuvor, hatte ich seine Adresse herausgefunden und ihn angerufen. Ich wollte ihm
einige Fragen stellen im Zusammenhang mit der Recherche zu meinem Buch und war
darauf gefasst, dass er sofort wieder auflegt. Doch das Telefonat lief anders
als von mir erwartet.
Bobbys erste
Frage galt meiner Mutter. Er wollte wissen ob sie noch lebt. Als ich das
bejahte und andere Fragen in Bezug auf sie kamen, ging mir ein Gedanke durch
den Kopf, den ich vorher nie gehabt hatte: Die ersten anderthalb Jahre, war
Bobby extrem streng zu mir gewesen. Das ä nderte sich nach dem ersten Besuch. Ich spekuliere nur, aber
meine Mutter war gerade mal 42, attraktiv und sprach nicht das bei den Sachsen
verhasste Berlinerisch bzw. Brandenburgisch. In der Tat, sie stammte selbst aus
Sachsen ...
Doch zur ü ck zu den
Tatsachen: Bobby bat mich, ihn beim Vornamen zu nennen und lud mich zu sich
nach Hause ein, wenn ich mal in der N ä he sein sollte.
Die Begr üß ung war
herzlich. Vor mir stand ein alter Mann. Von seinem beeindruckenden K ö rperbau war
nichts mehr ü brig. Seine
ersten Worte waren: “ Andre, ich habe nie etwas wegen deiner Hautfarbe gegen dich gehabt. Das
musst du mir glauben. ”
Ich war
erstaunt, das zu h ö ren, denn so wie er das sagte, klang es, als ob das bei allen anderen der
Fall gewesen war. Wie zum Beweis daf ü r, dass er die Wahrheit sagt, zeigte er mir ein Foto von
einem niedlichen, dunkelh ä utigen Kind: “ Das ist meine Enkeltochter. ”
Wir sa ß en in seinem
Wohnzimmer. Seine Frau brachte Bier. Er durfte nur noch Alkoholfrei trinken.
Wir redeten. Er erz ä hlte mir, dass er nach der Wende wegen Gefangenenmisshandlung verurteilt worden
war. Er bekam Bew ä hrung und eine schmerzlichen Geldstrafe. Er sagte, er h ä tte es nicht
getan, die Zeugen seien gekauft gewesen.
Ich wei ß , dass Bobby ein
harter Typ gewesen war. Er hatte nichts zweimal gesagt, aber er war nie ein
Sadist gewesen.
Da war eine
Frage, die mir unter den N ä geln brannte und ich stellte sie: "War au ß er mir jemand so
lange in Einzelhaft gewesen?"
Bobby nahm einen
Schluck aus seiner Flasche und ü berlegte. “ Ja ” , sagte er
schlie ß lich, “ da war jemand
als ich 1962 von der Eins r ü berkam. Sein Name war ä h ... Hertinger. Unser ehemaliger Au ß
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