Das Gurren der Tauben (German Edition)
Der
Lichtkegel wanderte weiter. Der Posten schien mich nicht gesehen zu haben.
Als ich meinen
Schock ü berwunden hatte,
sprang ich auf und rannte durch die Dunkelheit, nur raus aus dem Radius der
Scheinwerfer. Mir war klar geworden, dass es ein Ding der Unm ö glichkeit war,
die Berliner Mauer zu ü berwinden.
Ich ging die
wenigen Kilometer zur ü ck nach Sch ö nefeld und nahm dort die S-Bahn bis Ostbahnhof. Der n ä chste Zug nach
Eisenh ü ttenstadt fuhr
erst in ein paar Stunden. Also nahm ich ein Taxi. Dass es ü ber 100 Mark
kostete, war mir in jener Nacht egal. Als ich f ü r diese eine Sekunde im Licht des Scheinwerfers lag,
war mir der Schreck derart in die Glieder gefahren, dass mir die Lust auf
Republikflucht vorerst verging.
Mein zweiter
Fluchtversuch, an der tschechisch-bayrischen Grenze, war dokumentiert. Ich
hatte ihn nicht allein unternommen und erz ä hlte deshalb dem Vernehmer nur das, was aus der Akte
hervorging und nicht die echte Version:
Wir fuhren mit
dem Trabi, den sich mein Kumpel von seinem Vater “ ausgeliehen ” hatte bis zur tschechischen Grenze. Dort lie ß en wir den Wagen
stehen und trampten weiter bis Franzensbad, wo wir versuchen wollten, nach
Bayern r ü berzukommen.
Die Wacht ü rme konnten wir
in dem bergigen Gel ä nde schon von weitem sehen. Wir warteten bis es dunkel war und machten uns
dann auf den Weg ins direkte Grenzgebiet. Da wir nicht genau wussten, in
welcher Richtung Bayern lag, wanderten wir die halbe Nacht. Da war ein steiler
Berg. Den gingen wir hinauf. Der Wald wurde immer dichter und bald konnten wir
die Hand nicht mehr vor Augen sehen.
Irgendwann blieb
mein Kumpel stehen und fl ü sterte: “ Ich habe einen
Draht ber ü hrt! ”
Fast im selben
Moment durchschnitt der Lichtkegel einer Taschenlampe die Dunkelheit und kam
direkt auf uns zu. Wir standen da wie gel ä hmt, h ö rten schnelle Schritte und Keuchen. Sekunden sp ä ter traf uns der
Strahl der Taschenlampe. Zeitgleich wurde eine Maschinenpistole durchgeladen.
Der Mann br ü llte etwas auf
tschechisch. Wir warfen uns auf den Boden. Wir hatten zwar kein Wort
verstanden, dachten aber, dass er das meinte. Andere Leute mit Taschenlampen
kamen. Jetzt sah ich, dass um uns herum auf Knieh ö he alles mit Signaldr ä hten abgesteckt war.
Uns wurden
Handschellen angelegt und Kapuzen ü ber den Kopf gezogen. Dann wurden wir in ein Fahrzeug
gesetzt und irgendwohin gebracht. Gott sei Dank hatten wir unsere Karte vorher
weggeworfen. So bestand die Aussicht, dass wir uns rausreden konnten. Und das
taten wir.
Wir wurden
stundenlang mit Hilfe eines Dolmetschers verh ö rt, blieben aber bei unserer zuvor abgesprochenen
Version, dass wir Touristen sind, die sich verlaufen haben. Die Tschechen
erkundigen sich telefonisch in Eisenh ü ttenstadt ob gegen uns etwas vorlag. Da das nicht der
Fall war, brachten sie uns zur ü ck zur Grenze und ü bergaben uns der Volkspolizei.
Die verh ö rten uns erneut,
konnten uns aber nichts nachweisen. Sie lie ß en uns laufen mit der Auflage uns am n ä chsten Tag im
VPKA Eisenh ü ttenstadt zu
melden. Unsere Ausweise blieben eingezogen.
Als wir uns am n ä chsten Tag bei
der Polizei in Eisenh ü ttenstadt meldeten, bekamen wir einen PM 12 – einen Sonderausweis, mit dem man die DDR
nicht mehr verlassen konnte und der bei jedem kontrollierenden Genossen sofort
die Alarmglocken schrillen lie ß ...
Bei einem dieser
Verh ö re, zeigte mir
der Vernehmer einen Brief von Rechtsanwalt Dr. Vogel. Der teilte mir mit, dass
er meine Verteidigung wegen Ü berlastung nicht ü bernehmen k ö nne.
“ Sie bekommen
einen Pflichtverteidiger. Da wir Ihre Haltung kennen, werden wir darauf achten,
dass er kein Parteimitglied ist ” , sagte der Vernehmer.
Schon bald
danach wurde ich in einen Besucherraum gef ü hrt, um meinen Pflichtverteidiger zu treffen. Er begr üß te mich mit
Handschlag und stellte sich als Dr. Bleuler aus F ü rstenwalde vor. Den Namen der Stadt f ü gte er hinzu,
als ob er ein Titel sei. Dann sagte er mir, dass er – obwohl “ nur ” Pflichtverteidiger – all seine F ä higkeiten als Anwalt einsetzen werde, um mir zu helfen. Diese F ä higkeiten
schienen begrenzt zu sein, denn die Frage mit welcher Haftstrafe ich rechnen m ü sse, konnte er
nicht beantworten.
“ Ich spekuliere
nie ... Doch sagen Sie mir, welche der gegen Sie erhobenen Anschuldigungen
unzutreffend sind. ”
“ Zuallererst die
Mordversuche. Ich habe nie geplant jemanden zu t ö ten –”
“ Wenn
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