Das Gurren der Tauben (German Edition)
erspart worden war: Alle starrten mich an
und reckten ihre H ä lse. Einige Kommentare waren zu h ö ren. Doch sie waren nicht feindselig, eher Ausdruck von Ü berraschung.
Der Kinosaal war
proppenvoll. Einige Gefangene sa ß en sogar auf den hohen Fenstersimsen. Das Publikum setzte
sich aus allen Altersgruppen zusammen.
Ich machte
Andreas und Mario aus und zw ä ngte mich zu ihnen durch. Andreas versorgte mich mit den notwendigen Infos:
Die Zivilisten vorn am Konferenztisch waren Vertreter des Neuen Forums und des
Bautzener B ü rgerkomitees
sowie zwei Pastoren und ein Rechtsanwalt. Einige Journalisten sa ß en unter den
Gefangenen im Publikum.
Es wurde gerade
der gegen die Gefangenen angewandte Psychoterror zur Sprache gebracht – Eine peinliche
Situation f ü r die Offiziere
von der Anstaltsleitung. Sie wurden mit Fragen und Kommentaren derart in die
Enge getrieben, dass ihnen schlie ß lich die Worte ausgingen.
Sprechen sollte
immer nur die Person, die das Mikrofon hatte, doch die Debatte wurde so hitzig,
dass schlie ß lich alle
durcheinander redeten. Ich wollte auch etwas sagen, hatte zun ä chst aber keine
M ö glichkeit. Als
das Mikrofon irgendwann in meiner N ä he war, riss ich es einem Mann nachdem er ein paar S ä tze gesagt hatte
aus der Hand und ü bert ö nte die Schreih ä lse: “ Ich bitte um
Ruhe, denn ich habe etwas Wichtiges zu sagen! ”
Diejenigen, die vor
mir sa ß en, drehten sich
um und starrten mich an. Es gab ein paar verwunderte Bemerkungen dar ü ber, dass “ der Neger ” Deutsch spricht.
Doch ich konzentrierte mich auf das was ich sagen wollte und begann zu
sprechen: “ Ich wurde im
August 1981 wegen 213 verhaftet. Einige Wochen sp ä ter bin ich mit drei anderen Jungs aus der U-Haft in
Frankfurt (Oder) ausgebrochen. Wir wollten nach Westberlin. Bei dieser Aktion
wurde ein Polizist so schwer verletzt, dass er einige Wochen sp ä ter im
Krankenhaus verstarb. Wir verschanzten uns in einer Wohnung in einem Hochhaus.
Nach einigen Stunden wurde die Wohnung gest ü rmt und wir gaben auf. Drei von uns erhielten Lebensl ä nglich, einer 13
Jahre ..."
Im Saal wurde es
mucksm ä uschenstill.
Alle h ö rten aufmerksam
zu. Ich war erstaunt ü ber mich selbst, denn ich sprach flie ß end und versp ü rte nicht die geringste Aufregung.
“ Nachdem ich
hierher nach Bautzen gebracht wurde, kam ich sofort in Einzelhaft. Ich wurde
isoliert und Sonderma ß nahmen unterworfen. Das ging f ü nf Jahre so. ”
Ein Murmeln ging
durch die Reihen, denn kurz zuvor hatte ein Vertreter der Anstaltsleitung noch
behauptet, dass es keine Praxis in DDR-Gef ä ngnissen sei, Strafgefangene in Einzelhaft zu halten.
Ich fuhr mit
meiner Geschichte fort und lie ß nichts aus. Die meisten Ereignisse lagen Jahre zur ü ck, doch sie
hatten sich tief in mein Ged ä chtnis eingebrannt. Ich sprach etwa 10 Minuten. Viele applaudierten und
nickten mir freundlich zu, als ich fertig war. Au ß er Andreas und Mario kannte ich niemanden im Saal,
doch ich sp ü rte die
Sympathie von allen.
Ich hatte mich
kaum gesetzt, als die Offiziere mit Fragen bombardiert wurden. Trixi, der bis
vor kurzem noch den starken Mann markiert hatte, stotterte zusammenhangslose S ä tze, begleitet
vom h ö hnischen Gel ä chter des
Publikums. Nichts war ü brig von seiner Selbstsicherheit. Er h ä tte mir leid getan, h ä tte ich nicht sein wahres Gesicht gekannt.
Ein Journalist
fragte, ob er tats ä chlich damit gedroht hatte, mich umzubringen. Die Worten, die er damals zu
mir sagte, waren: “ Sollte das passieren, lasse ich Sie vorher noch umlegen! ”
Ich hatte es
gewagt, in einem Brief an meine Mutter meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen,
dass die DDR nicht mehr lange existieren und dann abgerechnet werden w ü rde.
Nach einigen sp ö ttischen
Nachfragen ob ihm die Sprache abhanden gekommen sei, sagte er stockend: “ Ich ... Ich ... kann
mich nicht daran erinnern. ” Er sprach so leise, dass man ihn trotz des Mikrofons kaum verstehen
konnte. Als er durch Rufe aus dem Publikum aufgefordert wurde lauter zu
sprechen, riss er sich zusammen: "Aber falls ich es gesagt haben sollte,
entschuldige ich mich daf ü r."
Das Publikum
brach in Gel ä chter aus ...
Der
Anstaltsleiter Oberstleutnant Alex machte auch keine bessere Figur. Zu ihm
hatte ich allerdings nie einen Bezug gehabt. Ich hatte nur einmal mit ihm zu
tun und zwar drei Jahre zuvor, als er die Aufhebung meiner Einzelhaft verk ü ndete. Da war er
relativ freundlich gewesen. Deshalb
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