Das Halsband der Königin
ebensowenig Geld in ihren Taschen. Der junge Offi zier bemerkte die Verlegenheit der Frauen. Gelassen zog er einen Louisdor aus seiner Börse und reichte ihn dem Mann.
Dieser wog das Geldstück erst prüfend in der Hand, dann steckte er es ein.
»Und nun, Kerl, fahre die Damen, und zwar anständig!«
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, Herr«, erwiderte barsch der Kutscher.
Unterdessen fl üsterte die Jüngere der Älteren bittend zu: »Lassen Sie den Herrn nicht fort, Madame.«
»Wieso?« sagte die Ältere. »Wir fragen den Offi zier nach Namen und Adresse und schicken ihm morgen sein Geld zurück.«
»Aber wenn der Kutscher unterwegs Schwierigkeiten macht?«
»Wir haben seine Droschkennummer.«
»Das würde uns wenig nützen, wenn wir heute nacht nicht in Versailles wären.«
Nach kurzer Überlegung billigte die Ältere Andrées Bedenken.
Sie erklärte dem jungen Mann in bestimmten Worten, daß sie seiner Begleitung bedürften, und der Offi zier stieg gehorsam mit den Damen in den Fiaker.
Tiefe Stille herrschte in dem Gefährt. Anscheinend sind es doch Damen, dachte der junge Mann. Vielleicht haben sie sich bei einem Rendezvous verspätet und kehren jetzt beschämt und geäng-stigt nach Versailles zurück. Aber wenn sie von Rang sein sollten, warum fahren sie dann ein Kabriolett und kutschieren selbst, und warum haben sie dann kein Geld bei sich? Vielleicht hatte der Lakai ihre Börse? Immerhin war das Kabriolett von makelloser Eleganz, und das Pferd – das war mindestens seine hundertfünfzig Louisdor wert. Nur sehr reiche Frauen können ein solches Gespann klaglos der Zerstörung überlassen. Abenteuerinnen würden auch kein so vollendetes Französisch sprechen.
Kurz, die Gedanken des jungen Mannes wurden seinen Reise-gefährtinnen immer günstiger. Der Duft erlesenen Parfüms be-rauschte seine Sinne. Er verglich beide Frauen miteinander, soweit das Halbdunkel in der Kutsche dies zulassen wollte, und empfand immer lebhaftere Neugier, die ihn selbst verwunderte, für die ältere, während er die aufmerksamen Blicke, die die jüngere dann und wann nach ihm sandte, kaum vermerkte. Als schließ-
lich eine Unterhaltung sich entspann, die seitens der Damen mit so viel vornehmer Zurückhaltung als sicherer Weitläufi gkeit wie fühlbarer Sympathie für ihn geführt wurde, bedauerte der Offi zier ganz und gar nicht mehr, seinen Abend den schönen Fremden geopfert zu haben. Vielmehr empfand er ein nie gekanntes Glück und das Verlangen, daß diese Fahrt nicht enden möge, und er beklagte insgeheim, wie schnell die lange Zeit verfl ogen war, als der Kutscher meldete, daß man in Versailles sei, und fragte, wo die Damen auszusteigen wünschten.
»Auf der Place d’Armes«, entschied die Ältere, und an den Offi zier gewandt, setzte sie huldvoll hinzu: »Wir haben Ihnen viel Mühe bereitet. Wir danken Ihnen für Ihre liebenswürdige Hilfe.
Bitte, nennen Sie uns Ihren Namen und Ihre Adresse.«
Nach einigem höfl ichen Zögern gab der junge Mann der Bitte statt: »Ich bin Graf Georges de Charny, diene in der königlichen Marine und wohne Hôtel de Prince, Rue de Richelieu.«
Als er jedoch Anstalt machte, den Damen aus dem Fiaker zu helfen, erklärte die Ältere: »Nein, Herr de Charny, bleiben Sie der artige Kavalier, der Sie bislang waren. Geben Sie mir sogar Ihr Ehrenwort, daß Sie den Wagenschlag jetzt schließen, ohne sich weiter nach uns umzusehen.«
Der Befehl
Der Fiaker rollte davon. Scharfer Frostwind wehte die Glocken-schläge von Saint-Louis über den leeren Platz. Es war Viertel vor zwölf.
»Mein Gott!« klagte Andrée. »Jetzt ist das Tor verschlossen.«
»Sei unbesorgt, Kleine«, sagte die Ältere, »wir hätten ohnehin die kleine Seitenpforte benutzt. Laurent ist unterrichtet, er wird uns einlassen.«
Andrée klopfte an jene Pforte, aber zum Entsetzen der Frauen antwortete aus dem Innern nicht die Stimme des vertrau-ten Dieners Laurent, sondern die grobe Soldatenstimme eines Schweizers:
»Wer da?«
»Öffnen Sie!« rief Andrée.
»Ich öffne nicht, ich habe meinen Befehl.«
»Wer sind Sie?«
»Sagen Sie lieber, wer Sie sind«, war die schroffe Antwort.
»Wir sind Damen aus dem Gefolge Ihrer Majestät, wir wohnen im Schloß.«
»Und ich bin ein Schweizer von der Garde und werde Sie lassen, wo Sie sind.«
Weder fl ehentliche Bitten noch Versprechungen auf Beförderung konnten den Soldaten bewegen, seinen Befehl zu verletzen.
War diese Pforte verschlossen, so waren es alle
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