Das Halsband des Leoparden
Ehrenwort! Das war bei meiner Nummer ›Stern des Serails‹ …«
»Und Graf Berkeley?«, lenkte Miss Palmer sie sanft wieder zum eigentlichen Thema zurück.
»Ich drückte ordentlich auf die Tränendrüse und sagte zu ihm: Geh, Geliebter! Leb weiter! Ich werde auf dich warten, jetzt laufe ich dir nicht mehr weg!, und der alte Idiot fing an zu heulen. Er rief: Du wirst nicht lange warten müssen! und rannte raus, er schaute nicht mal zu, wie ich sterbe, dabei bin ich darin große Klasse – eine Augenweide. Wollen Sie mal sehen?«
Fandorin erwiderte: »V-vielleicht später. Aber sagen Sie, was haben Sie sich eigentlich davon versprochen? Hatten Sie keine Angst, dass er zurückkommt?«
»Natürlich hatte ich Angst. Doch ich hatte ohnehin schon entschieden, dass es genug des Guten war. Ich wollte abhauen, weg aus Bath. Nach Glasgow, dort hatte ich seit langem ein Angebot. Aber Geoffrey, der arme Irre, kam nicht weit. Er ging raus auf die Straße und kippte um. Vom Schlag getroffen. Ich hab ihn ja nie geliebt, doch da tat er mir furchtbar leid. Ich hab bestimmt ne ganze Woche geheult.« Auch jetzt hatte Miss Flame Tränen in den Augen. »Niemand hat mich je so geliebt – weder vorher noch nachher.«
Sie brach in Schluchzen aus. Und ließ sich kein einziges Wort mehr entlocken.
»Wissen Sie, ich habe ein ganzes Leben gebraucht, um mich von der Richtigkeit banaler Weisheiten zu überzeugen«, sagte Miss Palmer, als sie Molly Flame verlassen hatten und rasch die Straße entlangliefen, um den letzten Zug zu schaffen. »Von frühester Kindheit an werden wir löffelweise mit der gesamten Weisheit der Menschheit gefüttert. Jeden Tag hören wir: ›Stille Wasser sind tief‹, ›Die Hoffnung stirbt zuletzt‹, ›Jede schwarze Wolke hat ein silbernes Futter‹ und Ähnliches, aber das sind Perlen vor die Säue. Solange du nicht selbst über den Stein stolperst, über den vor dir bereits Millionen andere gefallen sind, begreifst und lernst du nichts. Doch wenn du dann deine eigene Erfahrung gemacht hast, möchtest du es in die Welt hinausposaunen: ›He, Leute! Hört alle her! Wisst ihr schon, dass man den wahren Freund in der Not erkennt? Das habe ich soeben entdeckt!‹ Oder: ›Ach, wie verkehrt ihr alle lebt! Ihr solltet wissen: Es ist nicht alles Gold, was glänzt‹. Aber das Geschrei ist sinnlos, man wird nur heiser davon. Ja, so lebe ich, mein lieber Erast – von einer banalen Erkenntnis zur nächsten. Gerade eben habe ich eine weitere, sehr wichtige gemacht: Der Teufel ist nicht so schlimm, als man ihn malt. Die schreckliche Miss Flame war doch recht nett, finden Sie nicht? Man sollte keinem Ruf trauen, vor allem keinem schlechten.« »Das ist keineswegs banal.« Fandorin lächelte. »Ein durchaus origineller Gedanke.«
»Nein, nein«, wehrte Miss Palmer ab. »Zu originellen Gedanken bin ich nicht fähig. Ich bin eine ganz gewöhnliche, durchschnittliche alte Frau, eine wandelnde Sammlung von Binsenweisheiten. Sechsundsiebzig Jahre Einsamkeit sind lange genug, um sämtliche Sprichwörter am eigenen Leib zu erfahren und sich von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Mit Ausnahme der Banalität der Liebe – diese Seite des Lebens ist mir verschlossen geblieben.«
»Ich bin nicht sicher, ob das ein Grund ist, enttäuscht zu sein.«
Die alte Dame sah ihn mitleidig an.
»Sie sagen das so bitter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihnen an weiblicher Liebe gemangelt hat. Wahrscheinlich war es eher zu viel, und das, habe ich gehört, soll ja sehr gefährlich sein. Aber wissen Sie was? Lieber tausend Schicksalsschläge erfahren, als sich sein Leben lang in einem Kämmerchen vor dem Schicksal verstecken. Schon wieder eine Binsenweisheit … Also, was halten Sie von dem, was Miss Flame erzählt hat?«
»Graf Berkeley war nicht bei ihr.«
»Ganz meine Meinung.«
Sie gingen jetzt langsam, hin und wieder aufblickend. Es hatte aufgehört zu regnen, der Himmel war nun klar und voller Sterne.
Nach einer längeren Pause sagte Miss Palmer: »Ich glaube, ich weiß, wo wir Geoffrey suchen müssen.«
»Mir fehlt noch ein Detail …« Fandorin half der alten Dame über eine Pfütze. »Wenn Sie mir sagen könnten … Vorsicht, nicht reintreten, hier wurde ein Hund ausgeführt.«
»Danke. Was soll ich Ihnen sagen?«
»Gibt es dort einen Bären?«
»Ja, einen riesengroßen.« Sie klatschte enttäuscht in die Hände. »Ach, und ich wollte Sie überraschen. Und, fahren wir?«
»Direkt d-dorthin? Man könnte uns wegen
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