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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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auf mich wartet. Aber nun bin ich im Fegefeuer gelandet«, beklagte sich der Alte und betrachtete voller Abscheu seine Angehörigen, die düsteren Mauern von Berkeley House und den dunklen Hof. »Das ist nicht fair. Das Fegefeuer gibt es nur bei den Katholiken, und ich bin doch Mitglied der anglikanischen Kirche. Das ist ein Irrtum. Bringt mich zurück auf den Friedhof!«
    Mit vereinten Kräften versuchten sie, den armen Alten in den Rollstuhl zu verfrachten, doch er wehrte sich entschieden.
    Da gab Lady Lynn der Frau des Pastors ein Zeichen, und die schubste die Kinder nach vorn.
    Sie stürzten zum Großvater und umarmten ihn stürmisch.
    »Teurer Großvater!«
    »Lieber Großvater!«
    »Wir haben uns solche Sorgen gemacht!«
    »Wir haben dich so vermisst!«
    Der Graf zog den Kopf ein und hielt sich die Ohren zu.
    Schließlich übernahm Lord Daniel die Initiative. Der Erbe brachte die Kinder zum Schweigen und schickte sie fort, fasste seinen Vater bei den Schultern, schüttelte ihn heftig und rief: »Um alles, was heilig ist! Sagen Sie, wo ist die ›Galaxy‹?«
    Diese entschiedene Geste schien zu wirken. Graf Berkeley sah seinen Erstgeborenen an. Und antwortete sogar, und zwar durchaus vernünftig: »Weißt du das denn nicht? Da ist sie doch!«
    Er zeigte zum Himmel, wo in der Tat die Milchstraße leuchtete.
    Lord Daniel stieß eine Art Knurren aus, und der mittlere Bruder zog ihn weg.
    »Es ist nicht schön von Ihnen, die Menschen zu verhöhnen, die Sie lieben«, tadelte Hochwürden sanft seinen Vater. »Sie wollen doch ins Paradies?«
    »Zu Molly?«, fragte der Graf und nickte.
    »Ich werde Ihnen helfen. Wissen Sie, was das ist?« Matthew Lynn zog ein Taschenbrevier hervor. »Der heilige Psalter. Wenn Sie die Hand darauf legen und die Wahrheit sagen, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, ist Ihnen ein Platz im Paradies sicher. Verstehen Sie das?«
    Seine Erlaucht zuckte ungeduldig mit der Schulter.
    »Was gibt’s da zu verstehen?«
    Er hieb mit der flachen Hand auf das Buch. Auf dem Hof wurde es ganz still.
    »Sagen Sie, wer hat das Collier aus dieser Tasche genommen? Sie wissen schon, die aufgefädelten kleinen Glitzersteinchen?« Die Stimme des Pastors überschlug sich vor Aufregung. »Hat sich Ihnen jemand genähert? Sie angesprochen? Versuchen Sie sich zu erinnern. Das garantiert Ihnen einen wunderschönen Platz im Paradies.«
    Graf Berkeley sah seinen Sohn mit gerunzelter Stirn lange an.
    »Gleich erinnert er sich!«, flüsterte Mr. Parsley und presste Fandorins Arm. »Na los, Alter! Komm schon!«
    Seine Erlaucht seufzte und sagte voller Mitgefühl zu Hochwürden: »Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, Sir, dass Sie ein äußerst abstoßendes Gesicht haben? Unaufrichtig, verlogen und böse. Ich an Ihrer Stelle würde mir einen Bart wachsen lassen, das würde einiges kaschieren.«
    »Zum Teufel! Verflucht!« Der Ehrenwerte Tobias spuckte aus und schleuderte seine Zigarre wütend zu Boden – eine Funkenfontäne sprühte vom Pflaster auf. »Die reine Zeitverschwendung!«»D-der Hauptmann hat recht. Der Alte wird nichts sagen«, bemerkte Fandorin.
    »Weil er nicht weiß, wo das Collier ist«, ergänzte Miss Palmer.
    Der Butler sah die beiden an.
    »Sie meinen, das Collier wurde aus der Tasche genommen, als Seine Erlaucht in der Gruft schlief?«
    »Wir meinen, das Collier war gar nicht in der Tasche.« Miss Palmer trat vom Fenster zurück. »Ich kann nicht mit ansehen, wie sie den armen Geoffrey quälen. Sagen Sie lieber, Mr. Parsley: Hat der fristlos entlassene Diener Jim das Pförtnerhaus schon geräumt?«
    »Nein, ich habe ihm erlaubt, noch bis Sonnabend zu bleiben. Er hat sich natürlich schuldig gemacht, aber einen am Boden Liegenden schlägt man nicht. Dieser Trottel ist ohne Obdach und besitzt keinen Penny. Am Sonnabend kommt sein Bruder und nimmt ihn mit zu sich in die Schmiede. Eine anständige Stelle findet Jim nach dem Vorgefallenen ohnehin nicht mehr.«
    »Da er keine Arbeit hat, muss er also nicht früh aufstehen«, schloss Miss Parker. »Erast, wären Sie vielleicht bereit, Jim zu wecken und mit ihm zu sprechen?«
    »D-das wollte ich etwas später tun. Aber Sie haben recht. Hier gibt es nichts Interessantes mehr zu sehen.«
    Fandorin drehte sich um und ging hinaus, und Miss Palmer machte ihrem alten Freund einen exzentrischen Vorschlag: eine Teestunde um drei Uhr nachts. Schließlich müssten sie sich irgendwie die Zeit vertreiben.
    Sie hatten die erste Tasse noch nicht ausgetrunken, als

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