Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
feuerte erneut. Der Sheriff gab einen spitzen Schrei von sich und fiel vornüber in die Blätter. Arvin wartete ein, zwei Minuten, dann näherte er sich vorsichtig. Bodecker lag auf der Seite und starrte zu Boden. Eine Kugel hatte ihm das Handgelenk zerschlagen, die andere war ihm unter dem Arm in den Körper gedrungen. So wie es aussah, war mindestens eine seiner Lungenhälften durchbohrt worden. Bei jedem schweren Atemzug, den Bodecker machte, durchnässte ein weiterer Blutstrahl die Hemdbrust. Als Bodecker die abgewetzten Stiefel des Jungen vor sich sah, versuchte er, die Pistole aus dem Holster zu ziehen, doch Arvin beugte sich vor, nahm sie und warf sie beiseite.
Er legte die Luger oben auf den Gebetsbaum und drehte Bodecker so vorsichtig wie er konnte auf den Rücken. »Ich weiß, dass sie Ihre Schwester war, aber schauen Sie hier«, sagte Arvin. Er nahm das Foto aus der Brieftasche und hielt es dem Sheriff vor die Augen. »Ich hatte keine andere Wahl. Ich schwöre, ich habe sie gebeten, die Pistole wegzulegen.« Bodecker sah dem Jungen ins Gesicht, dann bewegte er die Augen zu Sandy und dem Toten, den sie in den Armen hielt. Er verzog das Gesicht und wollte das Foto mit der unverletzten Hand ergreifen, doch er war zu schwach, um mehr als nur einen halbherzigen Versuch zu unternehmen. Dann legte er sich zurück und fing an, Blut zu husten, genau wie Sandy es getan hatte.
Es kam Arvin zwar so vor, als würden Stunden vergehen, während er zuhörte, wie der Sheriff sich bemühte, am Leben zu bleiben, tatsächlich aber brauchte er nur ein paar Minuten zum Sterben. Es gibt keine Möglichkeit mehr umzukehren, dachte Arvin. Aber so weitermachen konnte er auch nicht. Es war, als würde die Tür zu einem traurigen, leeren Zimmer mit einem leisen Klick geschlossen; sie würde sich nie wieder öffnen, das beruhigte Arvin ein wenig. Als er hörte, wie Bodecker seinen letzten feuchten Atemzug tat, fällte er eine Entscheidung. Er nahm die Luger und ging zu dem Loch, das er für Jack gegraben hatte. Er ließ sich im feuchten Dreck auf die Knie sinken, rieb mit der Hand langsam über den grauen Metalllauf und dachte daran, wie sein Vater vor so vielen Jahren die Pistole mit nach Hause gebracht hatte. Dann legte er sie zu den Tierknochen in das Loch. Er schob es mit Erde zu und klopfte sie fest. Dann verbarg er alle Spuren des Grabes mit Laub und ein paar Zweigen. Er nahm das Bild des Erlösers ab, wickelte es ein und verstaute es in seiner Sporttasche. Vielleicht fand er eines Tages einen Platz, wo er es aufhängen konnte. Das hätte seinem Vater gefallen. Das Foto von Sandy und die beiden Filmdosen stopfte er in Bodeckers Brusttasche.
Arvin blickte sich noch einmal nach dem moosbedeckten Baumstamm und den verrottenden grauen Kreuzen um. Er würde diesen Ort nie wieder sehen, Emma und Earskell wohl auch nicht. Er drehte sich um und ging den Tierpfad entlang. Als er die Hügelkuppe erreicht hatte, wischte er ein paar Spinnweben beiseite und ließ den dunklen Wald hinter sich. Der wolkenlose Himmel war so tiefblau, wie er ihn noch nie gesehen hatte, und die Weide schien vor Licht zu brennen. Es war, als würde sie sich in alle Ewigkeit erstrecken. Arvin ging nordwärts in Richtung Paint Creek. Wenn er sich beeilte, konnte er in einer Stunde an der Route 50 sein. Mit etwas Glück würde ihn jemand mitnehmen.
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2011 unter
dem Titel
The Devil All The Time
bei Doubleday, New York.
© Donald Ray Pollock 2011
© der deutschen Ausgabe: Verlagsbuchhandlung Liebeskind 2012
Umschlaggestaltung: Marc Müller-Bremer, München
Umschlagmotiv: Bruce Davidson / Magnum Photos / Agentur Focus
Herstellung: Büro Sieveking, München
Typografie und Satz: Frese Werkstatt, München
Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
ISBN 978-3-935890-85-4
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