Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
auch die Rüstung. So musste er wenigstens nicht sehen, wie Bolilut Anno den Kopf abhackte. Was er hörte, reichte ihm vollkommen.
Einer der Knaben, die im Tempel Dienst taten, half ihm, den Kettenpanzer anzulegen, und reichte ihm das Gehenk mit dem kostbaren Schwert und schließlich den Rundschild.
»Wird die Burg fallen, Tugomir?«, fragte der Priesterschüler angstvoll.
Tugomir setzte den Spangenhelm auf. »Nicht solange wir sie verteidigen.«
»Aber alle Männer sind berauscht. Dein Bruder kann sich kaum auf den Beinen halten.«
Ja, es war ein verdammtes Pech, dass die Sachsen sich ausgerechnet diese Nacht ausgesucht hatten, um zu stürmen. Oder war es vielleicht gar kein Zufall? Tugomir warf einen argwöhnischen Blick auf das Standbild des Gottes, das doppelt so groß war wie er. Jarovit war ein Spieler, wusste der junge Priester. Und manchmal war sein Spiel grausam – wie von einem Kriegsgott kaum anders zu erwarten. Tugomir verehrte ihn wegen der großen Macht, die Jarovit besaß, aber getraut hatte er ihm noch nie.
»Verschwinde, Visan. Versteck dich mit den anderen Kindern im Keller der Burg.«
»Aber ich bin schon fast zwölf!«, protestierte der Junge.
Ungeduldig drehte Tugomir ihn um und versetzte ihm einen unsanften Stoß zwischen die Schultern. »Tu’s trotzdem. Sicher ist sicher.«
Er wartete nicht ab, ob Visan ihm gehorchte, sondern eilte in die Winternacht hinaus, ohne den kopflosen Leichnam eines Blickes zu würdigen, der vergessen zwischen zwei der hohen Fackelständer lag.
Das Tor des Walls zwischen Vor- und Hauptburg war fest verschlossen, und die Männer hatten bereits die Hütten unmittelbar darunter abgerissen, sodass der Wehrgang unterbrochen war und das Tor mehr als mannshoch in der Luft zu hängen schien. Überall lagen Holzbretter und Trümmer verstreut. Ein Dutzend Kornsäcke – unter anderen Umständen ein sorgsam gehüteter Schatz – waren achtlos beiseitegeworfen worden und teilweise aufgeplatzt. Tugomir blickte sich um. Zwanzig oder dreißig Mann, die auf dem Wehrgang gewacht hatten, standen bereit. Sein Vater kam mit ebenso vielen von der Halle herüber – die eilig aufgeweckte Tagwache. Bolilut und sein Dutzend Raufbolde waren ebenfalls versammelt, aber sie stützten sich aufeinander und wankten, und noch während Tugomir zu ihnen hinüberschaute, wandte sein Bruder sich ab, stemmte die Hände auf die Oberschenkel und erbrach sich.
»Sehet den Helden der Heveller …«, murmelte Tugomir vor sich hin, und im selben Moment donnerten die ersten Axthiebe gegen das Tor.
Die Eichenbohlen waren hart und stark, aber die Äxte der Sachsen scharf und offenbar zahlreich. Es dauerte nicht lange, bis das Tor zu splittern begann.
Die Krieger der Heveller zogen die Schwerter oder legten beide Hände an ihre breitschneidigen Äxte, sahen mit unbewegten Mienen zum Tor hinauf und warteten auf das Unvermeidliche.
Schließlich krachte der Sperrbalken zu Boden, die mächtigen Torflügel schwangen auf, und das erste Dutzend Sachsen stürzte schreiend in die aufgerichteten Lanzen, die sie erwarteten. Die drei, die wie durch ein Wunder nicht aufgespießt wurden, erledigten die Äxte der Wache.
Die nachdrängenden Angreifer waren gewarnt, aber ehe sie begriffen hatten, wo das Problem lag, war nochmals ein ganzer Schwung abgestürzt und niedergemetzelt worden. Tugomir half, sie vom Tor wegzuschleifen, damit die Toten keinen Hügel bildeten, über den die Eindringlinge herabspazieren konnten.
Einer der Sachsen – anscheinend ihr Anführer, obwohl er nicht älter als Tugomir zu sein schien – brüllte ein paar Befehle, und es purzelten leider keine weiteren ins Verderben. Stattdessen hatten sie in Windeseile ein paar Bogenschützen nach vorn geholt, die mit erschreckender Treffsicherheit auf die Verteidiger schossen und sie zurückdrängten. Sofort rückten die Heveller wieder vor, doch als Nächstes wurden sie mit Büscheln aus nassem, brennendem Stroh beworfen, und im Schutz des Qualms seilten die ersten Sachsen sich ab. Es konnten nicht mehr als je drei oder vier gleichzeitig sein, und Tugomir rückte Schulter an Schulter mit seinem Vater vor, um sie niederzumachen, doch der Beschuss von oben ging weiter, und gerade als Tugomir in all dem Rauch endlich einen Feind fand, mit dem er die Klingen kreuzen konnte, sank sein Vater neben ihm getroffen zu Boden. Mit einem Schrei, der Zorn und Schmerz zugleich ausdrückte, schlug Tugomir seinem Gegner mit einem beidhändig geführten
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