Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Bauch, noch ehe der Mann sich ganz gefangen hatte, dann stellte er sich dem zweiten zum Kampf. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sein Stoßtrupp ausschwärmte. Wahllos rissen die Männer die Türen der Wohn- und Lagerhäuser auf und warfen ihre Fackeln hinein. Die ersten Schreie gellten.
Otto blieb keine Zeit, sich zu fragen, ob die Frau, die er weinen hörte, jung und hübsch war. Sein Gegner war ein geübter Schwertkämpfer. Für ein paar Herzschläge brachte er den Kampf unter seine Kontrolle, drängte Otto zurück, bis der mit dem Rücken hart gegen die brennende Holzwand der Hütte stieß. Aber dann duckte der Prinz sich nach rechts weg, tauchte geschickt unter der zustoßenden Klinge hindurch und trieb die seine dem Gegner in die Seite.
Stöhnend ging der Mann zu Boden.
Otto blickte sich um, während er sein Schwert befreite. Die Vorburg glich einem großen Dorf. Wohnhäuser und Werkstätten säumten nicht nur den Schutzwall, sondern standen in unordentlichen Gruppen auch im Innern des umfriedeten Ovals. Auf einem kleinen Platz machte er einen Brunnen aus. Die Häuser lagen still und dunkel, denn die Handwerker und Krämer, die sie bewohnten, hatten sich längst schlafen gelegt.
Hellwach waren hingegen die Krieger auf dem Wall. Dieser war eine gewaltige Befestigung: außen ein tiefer, jetzt überfrorener Graben, dann eine steile Lehmböschung – Berme genannt –, die bei Nässe oder Frost viel zu glitschig war, um sie zu erklimmen, gekrönt von angespitzten Palisaden. Hier auf der Innenseite war der Erdwall eine senkrechte, mit Brettern verschalte Wand, und die Dächer der umlaufenden Hütten bildeten den Wehrgang.
Die Stärke des Walls und die Baukunst, die er verriet, beeindruckten den jungen Prinzen. Ohne diesen Tunnel hätten wir noch einmal zwei Monate gebraucht, um hier hereinzukommen, dachte er.
Die Brände und der Kampfeslärm hatten die Leute geweckt, und aus allen Türen hasteten Männer in die Nacht hinaus – ungerüstet und mehrheitlich nur mit Keulen bewaffnet, schien es Otto. Aber es waren viele. Er folgte Udo und dessen Männern zum Haupttor. Er wusste, sie mussten sich beeilen und die Hauptstreitmacht seines Vaters einlassen, ehe die Verteidiger seinen Stoßtrupp einkesseln konnten. Angefacht vom kalten Ostwind hatten die Feuer sich ausgebreitet und erhellten die Nacht. Trotzdem sah der Prinz den Feind nicht kommen, der sich vom brennenden Dach eines Viehstalls auf ihn stürzte. Unter dem Gewicht seines Angreifers fiel Otto in den Schnee und begrub sein Schwert unter sich.
Der Heveller wälzte sich von ihm, packte ihn beim Ohr und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Der Prinz spürte heißes Blut aus seiner Nase über Mund und Kinn laufen und versuchte vergeblich, sich loszureißen. Sein Gegner zückte ein Messer aus dem Gürtel, und Otto packte eine Handvoll Schnee und schleuderte ihn dem Mann in die Augen.
Fluchend fuhr der Heveller sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Der Moment reichte dem Prinzen. Wendig wie ein Otter rollte er auf den Heveller zu, entging der zustoßenden Klinge, bekam sein Schwert zu fassen und führte einen unkontrollierten Streich. Schreiend schlug der Mann die Hände vor sein aufgeschlitztes Gesicht, ließ das Messer fallen und torkelte davon.
Otto sprang auf die Füße und sah erleichtert die hohen Flügel des Haupttors nach innen schwingen.
»Die Vorburg ist gefallen, mein Fürst«, berichtete der Wächter keuchend, der vom Wehrgang zum Tempel geeilt war, um die Männer zu warnen.
Fürst Vaclavic wurde schlagartig nüchtern. Das hatte Tugomir schon des Öfteren an seinem Vater bewundert. Scheinbar mühelos sprang der nun auf die Füße. »Bewaffnet euch, schnell«, befahl er den Männern im Tempel. »Sammelt euch am Tor, Bolilut.« Und den Hohepriester fragte er: »Bedeutet das, dass Jarovit unser Opfer ablehnt?«
Schedrag schüttelte den kahlen Kopf – offenbar seelenruhig. »Warum sollte er, hat er es sich doch selbst ausgesucht. Schneidet dem Opfer den Kopf ab und legt ihn dem Gott zu Füßen. So viel Zeit muss sein.«
Der Fürst und seine Männer hasteten aus dem Tempel, um zur Halle zurückzukehren und ihre Rüstungen anzulegen.
Bolilut nahm eine der Streitäxte von der Wand und hielt sie Tugomir einladend hin: »Willsu … Willst du vielleicht?«
Tugomir schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ging in den unbeleuchteten hinteren Bereich des Tempels, wo er seine Schlafstatt hatte und seine persönlichen Habseligkeiten aufbewahrte, darunter
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