Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
erklärte es mir später, auf dem Rückweg zum Hotel, im Taxi – wegen der geplagten Füße meiner Mutter. Lucas, so mein Vater, war der Intellektuelle der Familie. Geschichtsstudium in Cambridge, mit Auszeichnung. Wegweisende Forschungen. Aktuell verfolgte er einen ganz neuen wissenschaftlichen Ansatz. Zudem hatte er sein Haus für hochbegabte, jedoch weniger begüterte Studenten geöffnet.
» Sein Haus?«, schnaubte meine Mutter. »Das müsste genauso gut dein Haus sein.«
»Sein Patenonkel hat es aber, wie schon tausendfach erwähnt, ihm hinterlassen, Meredith, nicht mir. Und, wie auch schon tausendfach erwähnt, habe ich es weder gewollt noch gebraucht.«
»Es geht auch nicht ums Brauchen. Sondern ums Prinzip . Es hätte zu gleichen Teilen an euch beide gehen müssen. Aber nein, du überlässt es ihm, einfach so. Dein Problem ist, dass du alles tust, um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen.«
Mein Vater beachtete sie nicht, sondern starrte aus dem Fenster.
»Was mich so aufregt, ist diese unglaubliche Vergeudung «, setzte meine Mutter nach. »Er sitzt auf einer Immobilie, die ein Vermögen wert ist, und was macht er daraus? Eine Kommune, noch dazu eine Kommune für Eierköpfe.«
All das war mir unbekannt, als ich an jenem Morgen durch das Haus gewandert war. Ich fand es nur jedes Mal von Neuem aufregend, wenn ich eine Tür öffnete und sich dahinter ein Student verbarg: einer in der Küche, einer im vorderen Zimmer, zwei oben und einer auf einer Art Balkon, an der Rückseite des Hauses, mit Blick auf einen verwilderten Garten. Ich zählte fünf Studenten und Studentinnen, alle lasen oder schrieben etwas, nur im Badezimmer war eine Studentin damit beschäftigt, eine Flüssigkeit von einem Glasbehälter in einen anderen zu füllen. Wenn ich mich recht erinnere, ging sie später zur NASA. Sie ignorierten mich fast alle.
»Ich bin Lucas’ Nichte«, sagte ich jedes Mal.
»Hallo, Nichte«, war noch die stärkste Reaktion.
Ich tat, wie mir geheißen. Ich schaute mich überall um, auf allen drei Etagen. Ganz oben entdeckte ich das tollste Zimmer. Es war ein umgebauter Dachboden mit einer Dachschräge. Auch hier standen überall Bücherregale, in einer Ecke war eine Art Alkoven mit einem ungemachten Bett, einer Lampe und natürlich Büchern. Auf dem Boden lag ein Stapel Notizhefte, auf deren Einband Lucas’ Name stand. Also war dieser Teil des Hauses seiner. Mitten im Zimmer, und nicht an der Wand, wie bei uns zu Hause, wie bei meinem Vater, befand sich der Schreibtisch, so groß wie ein Esstisch. Auch er war – wie jedes Möbelstück in diesem Haus – beladen mit Papieren, Aktenordnern, Schachteln, Büchern. In jedem Winkel dieses Zimmers gab es Bücher. Und wo keine waren, waren Füchse. Dutzende Füchse.
Damals lautete mein voller Name noch Arabella Louisa Fox, Mum und Dad waren Meredith und Richard Fox. Daher hieß mein Onkel selbstverständlich auch Fox, Lucas Fox. Und offensichtlich fand er seinen Nachnamen genauso wunderbar wie ich. Ich kehrte den Büchern den Rücken zu. Lieber zählte ich die Füchse. Allein an den schrägen Wänden befanden sich sieben gerahmte Gemälde mit Füchsen darauf. Auf den Schränken und den vollen Regalen drängten sich fünf kleine Fuchs-Statuen. Der Lampenschirm hatte ein Fuchsmotiv. Etwas, das wie ein Kerzenständer aussah, hatte einen Messingfuß in Gestalt eines Fuchses. Und auf dem Schreibtisch, genau auf Augenhöhe, saß ein echter Fuchs. Ein echter Babyfuchs.
In der Dachkammer war es dämmrig. Die Lampen, das Deckenlicht waren ausgeschaltet. Nur durch das Dachfenster fiel ein wenig Licht herein, direkt auf das goldbraune Fell des Tiers. Der Fuchsschwanz leuchtete in fantastischen Rottönen, das kleine Gesicht trat markant hervor, die winzigen, klugen Augen schimmerten. Sie sahen mich an.
»Alles ist gut«, sagte ich, das weiß ich noch genau, und ging langsam auf den Fuchs zu. »Ich tu dir nichts.«
Ich streichelte ihn vorsichtig, weil ich damit rechnete, dass er nach mir schnappte, und gleichzeitig hoffte, dass er schnurrte. Schnurrten Füchse überhaupt? Doch als ich ihn berührte, wusste ich sofort, er war nicht echt. Ich meine, er war echt gewesen , er hatte gelebt. Jetzt aber war sein Kopf kalt und reglos. Der Rücken kühl und hart. Ich fuhr mit den Fingern über das Fell. Einige Haare lösten sich. Ich sah ihm in die Augen. Ich weiß nicht mehr, ob ich einfach müde war oder mir der Streit zwischen Mum und Dad – wie immer – in den Knochen
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