Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
Melbourne gefahren. Lucas und ich waren uns schon vor meiner Ehe nahe gewesen. Seither standen wir uns noch näher. Erst als Lucas nach Hause geflogen war, waren Aidan und ich in unsere offiziellen Flitterwochen aufgebrochen – zwei Wochen USA, wobei wir natürlich auch Charlie und seine Familie für mehrere Tage besuchten.
In Canberra traten Arbeit und Alltag an die Stelle von Heirat und Flitterwochen. Ich mailte Lucas so regelmäßig wie eh und je, berichtete ihm, mit welchen Autoren ich arbeitete, oder bat ihn bei grammatikalischen Problemfällen um Rat. Ich erzählte ihm von Aidans Job. Lucas hatte, so schrieb er, ein volles Haus – sechs Studenten, so viele wie noch nie. Trotzdem war die Nachfrage immer noch größer als die Zahl seiner Nachhilfelehrer. Ich fürchte um die Zukunft dieses einst so großen Landes, tröste mich jedoch mit meinem üppig quellenden Bankkonto , war sein Kommentar.
Kein halbes Jahr nach unserer Hochzeit löste die Nachricht, dass wir Eltern würden, eine Flut von E-Mails mit Verblüffenden Fakten aus. Sie kamen die ganzen neun Monate lang. Wusstest du, dass sich bei einem Baby als Erstes der Hörsinn entwickelt? Dass auf der Erde alle drei Sekunden ein Baby geboren wird? Dass ein Baby ohne Kniescheiben auf die Welt kommt?
Ich mailte ihm fünf Stunden nach der Geburt, eine lange und schmerzhafte – ich vergaß es sofort –, dass wir unseren Neugeborenen (groß, gesund und wunderschön) Felix Lucas Fox O’Hanlon nennen würden. Zwei Tage später klopfte es an der Tür unseres Apartments. Aidan sagte, dass der Postbote das Paket kaum tragen konnte, so groß war es. Darin war ein riesiger Plüschfuchs, einen Meter fünfzig groß. Danke , stand auf Lucas’ handschriftlicher Nachricht. Ich bin überwältigt.
Danach korrespondierte Lucas häufiger mit Felix als mit mir. Ich spielte die Beleidigte, doch ich fand es großartig.
Lieber Felix , stand in einer Mail. Wie klappt es mit dem Schlafen? Hat dir schon jemand gesagt, dass Felix das lateinische Wort für glücklich, glückvoll ist?
Felix schrieb ihm natürlich zurück, seine Worte flossen durch meine oder Aidans Hand. Für ein Baby war er erstaunlich sprachgewandt, und er zeigte sich sehr dankbar für Lucas’ Serie: Verblüffende Fakten für Kleinkinder.
Lieber Lucas,
ja, ich schlafe und esse sehr gut, danke der Nachfrage – ich habe schon 800 Gramm zugenommen. Danke auch für den Link zur Webseite des Teilchenbeschleunigers. Ich kann es kaum erwarten, so etwas eines Tages mit eigenen Augen zu sehen.
Alles Liebe von deinem Großneffen Felix.
Wir schickten Lucas Dutzende Fotos. Lucas schickte Bücher. Kistenweise. Und nicht nur Bilderbücher. Er schickte Dickens, Tolstoi, Austen, Homer … Er wolle, so Lucas, dass Felix bei Schulbeginn eine vollständige Bibliothek der Klassiker sein Eigen nennen könne. Dabei kamen die Bücher in derart rascher Folge, dass Felix schon mit Kindergartenbeginn eine vollständige Bibliothek der Klassiker sein Eigen hätte nennen können. Zu seinem ersten Geburtstag schickte Lucas einen zweiten Plüschfuchs, auch dieser einen Meter fünfzig groß. Damit der eine nicht allein ist, hieß es.
Einen Monat später überraschte – erfreute – Lucas uns mit einem Spontanbesuch. Er blieb nicht einmal eine Woche, die Zeit war viel zu kurz, doch sie reichte für zahlreiche Fotos von ihm und Felix. Durch eine glückliche Wendung war auch Charlie in Australien. Zwischen den beiden funkte es erneut.
Besonders einen Nachmittag sehe ich noch vor mir. Wir hatten einen entspannten Lunch bei uns veranstaltet, die Balkontüren standen offen, die Sonne schien ins Zimmer, eine sanfte Brise wehte. Dort, in unserem kleinen Wohnzimmer, waren die mir liebsten Menschen auf der Welt versammelt – Aidan, Lucas, Charlie und Felix. Von einem Moment, einem hinreißenden Moment, machte ich, perfekt getimed, ein Foto: Charlie erzählt einen Kalauer, Lucas wirft den Kopf in den Nacken und lacht, Aidan lächelt und schüttelt den Kopf, und dort, in Aidans Armen, liegt Felix und zeigt sein großes, zahnloses Lächeln und strampelt mit den Beinchen, als ob ein Lächeln nicht genügen würde, um seiner Freude Ausdruck zu verleihen. Die Beine sind auf dem Bild verschwommen. Damals hatte mich etwas durchdrungen, wie ein Licht, ein warmes Gefühl, ein Strom. Später war mir aufgegangen, dass es pure Wonne war.
Nach Lucas’ Heimreise steigerte sich die Frequenz der E-Mails. Er führte mit Felix intensive Diskussionen
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