Das Haus der bösen Mädchen: Roman
sagt: »Na los, fick sie!«
Neben dem Körper eines älteren, sehr dicken Mannes ruft der Mörder: »He, hier kriegen ja die Würmer einen Haufen tollen Speck zu fressen!«
Der Junge sitzt die ganze Zeit im Kühlschrank. Die Tränen auf seinen Wangen sind eiskalt, er kriegt keine Luft mehr und öffnet vorsichtig die Tür einen Spalt.
Das Pärchen bleibt auf der Schwelle noch einmal stehen, um sich zu küssen. Ihre Lippen kleben aneinander wie Gummisauger.
»Sitz still, bitte, bitte, sitz still!«, flehte Ljussja den Jungen an.
Aber er zittert so heftig, dass die Flaschen im Kühlschrank klirren, eine fällt auf den Fliesenboden. Die Gangster lösensich voneinander, rennen in die Küche und reißen die Kühlschranktür auf. Die Frau droht dem Jungen mit dem Zeigefinger, lächelt freundlich, sagt: »Na, wer will denn hier Erwachsene reinlegen?« und schießt ihn in den Kopf.
Ljussja starb jedes Mal mit dem Jungen. Und hoffte bei jeder Vorführung, die Flasche werde nicht rausfallen, die Gangster würden das Lokal verlassen, in ihrem schmutzigen offenen Wagen davonrasen, und der Junge würde aus dem Kühlschrank klettern, den mondbeschienenen weißen Weg entlangrennen, seine Eltern treffen, die Besitzer des Cafés, die in Wirklichkeit nicht erschossen wurden, sondern nur verwundet, und alles würde gut ausgehen.
Es gab noch viele andere Filme, vermutlich noch schlimmere. Plumpe Ungeheuer mit Spinnenbeinen verschlangen Menschen, rissen ihnen die Köpfe ab, saugten die Augen aus; elegante Vampire schlugen ihre Reißzähne in die zarten Hälse schöner Frauen; halbverweste Leichen stiegen aus ihren Gräbern und bildeten eine gemächliche Prozession, die Arme ausgestreckt und die nassen, bleichen Münder offen. Hinter der gläsernen Mattscheibe krochen Würmer und Spinnen herum, wanden sich Schlangen, brachen krachend Knochen, zerplatzte Haut. Wie große rote Schneeflocken schwebten Fetzen von Menschenfleisch über einem explodierten Schulbus. Und jenseits davon, auf dem Teppich im gemütlichen Wohnzimmer des Vorstadthauses, saßen die adoptierten Zöglinge von Mama Isa, knabberten Pistazien und Sonnenblumenkerne und tranken Dosencola. Sieben Paar Augen blickten wie gebannt auf den Bildschirm.
Die Videothek füllte einen großen Bücherschrank und wurde ständig durch Neues ergänzt. Das Hauptkriterium für die Auswahl lautete: Nur keine Rührseligkeit. Folgte der Filmheld seinen gesunden Instinkten, war er ein Vorbild, er wurde bewundert und später imitiert, im Spiel wurde die Filmgeschichte weitererzählt. Erlaubte sich aber ein auf den ersten Blick guter Held Mitleid mit einem anderen oder spiegeltesein Gesicht auch nur einen Anflug von Gedanken, Trauer oder Zweifel, ja irgendeines menschlichen Gefühls, wurde er bestraft.
Zweimal im Monat, bei Vollmond, fand im geräumigen Keller des Hauses die Diskothek statt. Zuvor wurde eine lebensgroße Nachbildung des bloßgestellten Filmhelden angefertigt, meist eine große Plastikpuppe. Sie wurde geschminkt, mit dickem, leicht gesalzenem Kirschsaft gefüllt, und sämtliche Ritzen wurden sorgfältig mit Knete abgedichtet, damit der Saft nicht herausfloss. Die so präparierte Puppe wurde auf einen Zinktisch gelegt, auf den mit Ölfarbe ein Kreuz gemalt war. Die Teilnehmer der Zeremonie trugen schwarze Gewänder auf dem nackten Körper und Masken. Um halb zwölf wurde die Kellertür verriegelt; dicke Altarkerzen brannten, und es lief afrikanische rituelle Musik – Trommelwirbel und Schamanengeheul. Die verkleideten Jugendlichen tanzten um den Tisch herum und sangen die Schamanenflüche mit. Mit besonderen Dolchen wurde achtzehn Mal in die Puppe gestochen und der herauslaufende Saft mit einem besonderen Silberbecher aufgefangen, der herumgereicht wurde, damit jeder einen Schluck daraus trank. Dann wurden der Puppe Arme, Beine und Kopf abgerissen. Anschließend folgten andere Spiele.
Manchmal spielten sie Vampir, saugten sich gegenseitig am Hals, rollten über den Betonfußboden, dann wurden die Toten zu Zombies, knurrten, heulten, prügelten sich und betatschten einander. Zum Schluss rissen sich alle die Masken und Gewänder herunter, tanzten wie wild, sanken paarweise auf den nun mit einem schweren bestickten Tuch bedeckten Tisch, stöhnten und wanden sich.
Die beiden Erwachsenen, Mama Isa und Ruslan, waren bei jeder Diskothek anwesend. Mama Isa war Maman Brigitte, eine der Hauptgottheiten des Voodoo. Vor jedem neuen Akt des Spektakels knieten alle vor ihr nieder,
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