Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Hof sah sie sich um. Eine alte Frau mit Strohhut führte ein Bologneserhündchen aus, ein dicker junger Glatzkopf bastelte an einem grellroten Ford, ein drahtiger weißblonder Bursche mit dunkler Brille saß auf der Lehne einer kaputten Bank gegenüber dem Hauseingang. Selbst von weitem sah Warja, dass seine schneeweißen Turnschuhe nagelneu waren. Warja blickte sich einige Sekunden um, gegen die grelle Sonne blinzelnd, stieg in ihr Auto, setzte sich ans Steuer, schaltete die Zündung ein, doch statt loszufahren, würgte sie den Motor ab, stieg wieder aus, blickte sich noch einmal auf dem Hof um und ging entschlossen auf den Burschen mit den weißen Turnschuhen zu.
»Entschuldigen Sie, würden Sie mich bitte anschieben?«, wandte sie sich lächelnd an ihn. »Mein Auto ist noch ganz neu, aber irgendwie säuft der Motor dauernd ab.«
Der Bursche musterte sie durch die Brille hindurch eindringlich, spuckte aus und brachte heiser hervor: »Nein.«
»Aber was soll ich denn jetzt machen?« Warja schaute sich hilflos um. »Ich bin furchtbar spät dran. Sie können mir also nicht helfen? Na schön… Junger Mann!« rief sie aus vollem Hals dem Dicken mit dem Ford zu und drehte sich so heftig um, dass ihre kleine Schultertasche das Gesicht des Weißblonden traf und ihm die Brille herunterriss. Er sprang auf und fluchte leise und wütend. »Oh, entschuldigen Sie bitte,Entschuldigung«, plapperte Warja und sah ihm ins Gesicht. »Ich hoffe, die Brille ist nicht kaputt?«
»Hau ab, Miststück«, zischte der Weißblonde. »Hau ab, ich bring dich um!«
»Psychopath!« fauchte Warja. »Ich hab mich doch entschuldigt. Und deine Brille ist auch noch ganz. Junger Mann!« Sie lief zu dem roten Ford. Dessen glatzköpfiger Besitzer stand vor dem offenen Kofferraum, wischte sich die Hände ab und sah Warja an. »Könnten Sie bitte mein Auto anschieben?«, bat sie ihn mit einem sanften Lächeln.
»Aber gern. Was ist denn passiert?«
Der Dicke war nicht nur bereit, das Auto anzuschieben, er wollte sogar in den Motor kriechen, um nachzusehen, was an einem so nagelneuen, schicken Auto kaputt sein konnte.
»Nein, nein, der Motor ist bestimmt in Ordnung. Es liegt an mir. Die Technik mag mich nicht.«
Der Dicke sah dem schneeweißen VW eine ganze Weile schweigend nach und überlegte, warum er nie Glück hatte. Wenn ihm mal ein wirklich hübsches Mädchen begegnete, schaffte er es nie, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen, sie um ihre Telefonnummer zu bitten, sie näher kennenzulernen.
Warja fuhr nach ein paar Häuserblocks rechts ran, nahm das Phantombild heraus, das Borodin ihr gegeben hatte, und überflog die Beschreibung: Größe 1,70 bis 1,75 m durchschnittlicher Körperbau, helles Haar, braune Augen, ovales Gesicht, gerade Nase.
Ljussja hatte sich die Decke über den Kopf gezogen, um die Schüsse und die grässlichen Schreie nicht zu hören, von denen ihr innerlich eiskalt wurde. Ein Mann mit nacktem Oberkörper, Pferdeschwanz und farbigen Tätowierungen auf den mächtigen Schultern mähte mit einer Maschinenpistole Kinder und Frauen nieder wie Gras. Seine Freundin, eine braune Schöne mit sonnengebleichten langen Haaren, erledigte mit einer Pistole die Übrigen, die sich verkriechen wollten. Dasalles geschah an einem späten Abend in einer Raststätte irgendwo im Süden Amerikas, wo das ganze Jahr Sommer ist, riesige Kakteen wachsen und alle in Shorts rumlaufen.
Mama Isa erklärte, der Film sei goldrichtig, wahrhaftig und offen, ohne Rührseligkit. Seine Helden lebten nicht nach den verlogenen, faulen Gesetzen der sogenannten christlichen Moral, von denen längst jedem speiübel werde, sondern nach ihren ureigenen gesunden Instinkten. Darum seien sie so toll; ihnen gelinge alles, sie hätten immer Glück.
Ljussja erinnerte sich an jedes Wort von Mama Isa, verstand aber den Sinn nicht. Der Film über das Mörderpärchen lief in ihrem Kopf häufig ab, klar und deutlich. Am Ende gab es eine Szene, die Ljussja jedes Mal aufs Neue erschütterte.
Während des Blutbads in der Raststätte versteckt sich ein achtjähriger Junge in dem riesigen Kühlschrank in der Küche. Die Gangster wollen schon gehen, überprüfen aber noch einmal, ob wirklich alle tot sind, treten die Körper mit Füßen und reißen Witze. Der Mann dreht mit der Schuhspitze den Kopf eines dunkelhaarigen toten Mädchens um und sagt: »Hübsches Ding, kuck dir mal die Titten an!« Seine Freundin gibt ihm eine Ohrfeige, schießt dem toten Mädchen ins Gesicht und
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