Das Haus der bösen Mädchen: Roman
beteten zu ihr und küssten ihr die Füße. Ruslan war Baron Samedi, der Anführerbeim Ritual der Zerfleischung der Opferpuppe. Er stach achtzehn Mal mit dem Dolch in den Plastikkörper.
Alles, was im Keller gesagt und getan wurde, war streng geheim. Ljussja erschrak sogar, wenn sie nur davon träumte. Mama Isa sagte, der gute Loa und der böse Baka kontrollierten die Träume. Außerhalb des Kellers wurde niemals über die Diskotheken gesprochen. Am Morgen joggten alle im Wald und machten anschließend draußen Gymnastik. Bei jedem Wetter, selbst bei grimmigem Frost, schwammen sie im Pool. Dann gab es Frühstück. Nach dem Frühstück begann der Unterricht. Die Lehrer kamen ins Haus. Am Ende jedes Quartals legten Mama Isas Zöglinge in der Schule von Lobnja die obligaten Prüfungen ab und bekamen immer beste Noten. Ljussja wurde hin und wieder von Mama Isa unterrichtet, nach Lehrbüchern für die Hilfsschule. Manchmal übte Ruslan mit ihr kämpfen, aber anders als mit den anderen. Er rief sie zu sich ins Zimmer, schloss die Tür und sagte immer das Gleiche: »Na, dann will ich dir mal ein Paar Griffe zeigen, aber zieh dich aus, nackt ist es bequemer.«
Sie zog sich aus, sie war ein folgsames Mädchen und wollte nicht, dass er böse wurde. Er warf sie auf die Matte, als wäre sie eine Stoffpuppe. Der harte Filz kratzte auf der Haut. Ruslan flüsterte heiser immer wieder: »Still, ganz still …« Aber sie wollte gar nicht schreien. Nur anfangs tat es weh, beim allerersten Mal, später wartete sie mit stockendem Herzen darauf, dass er sie wieder zu sich rief, die Tür schloss und ihr befahl, sich auszuziehen.
Manchmal musste sie das Gleiche auch mit Tolik und Wowka tun, aber mit ihnen war es ganz anders. Danach war sie immer sehr erschöpft, denn gleich zwei auf einmal – das war schwer und peinlich. Mit Ruslan dagegen, das war richtige Liebe. Er brauchte Ljussja nur anzusehen, sie zu berühren, und ihr wurde ganz heiß. Sie schmolz süß und langsam dahin wie ein Stück Schokolade im Mund.
Sie schaute vorsichtig unter der Decke hervor und streichelte die Zellophanhülle der noch immer unangebrochenen Pralinenschachtel auf ihrem Nachttisch.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Die Zwilinge Ira und Sweta liefen die Twerskaja entlang und genossen ihr Spiegelbild in den Schaufenstern. Diesmal waren sie vollkommen gleich angezogen: Stretch-Minirock, T-Shirt mit Spaghettiträgern und Sandalen auf hohen, weichen Plateausohlen. Lautlos öffneten sich die Glastüren einer Einkaufsgalerie. Die Schwestern fuhren mit der Rolltreppe hinauf in die zweite Etage. Dort war es leer und kalt, die Klimaanlage lief auf Hochtouren, in den teuren Boutiquen langweilten sich Verkäuferinnen und Wachleute. Die Preise hier waren so hoch, dass selbst Nachlässe von sechzig Prozent keine Käufer anlockten. Hierher kam man nur zum Schauen, nur selten waren unter den normalen Neugierigen Verrückte, die bereit waren, fünfhundert Dollar für ein Baumwollshirt und tausend für ein zerknittertes Leinenjackett hinzublättern, genauer gesagt, für das Markenetikett, für ein paar Buchstaben auf einem winzigen Stück Futterseide.
»Stop«, sagte Ira, »hier ist es.«
In der auf antik getrimmten Boutique mit Gipsstuck und beigefarbenen Plüschsesseln stand kein Wachmann. In einer Ecke saß eine einsame junge Verkäuferin, über ein Buch gebeugt. Die Türglocke klingelte melodisch. Die Verkäuferin fuhr auf und riss sich von ihrem Liebesroman los.
»Guten Tag. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Nein, danke.« Sweta lächelte.
»Wir haben gerade eine neue Kollektion hereinbekommen, sehen Sie, hier, ganz entzückende Abendkleider in hochmodischem Schnitt. Probieren Sie die doch mal an.«
Sie nahm mehrere Kleidungsstücke vom Ständer und begleitete die Schwestern zur Anprobekabine. Der schwere Vorhang wurde zugezogen, und die Verkäuferin kehrte an ihren Tisch, zu ihrem Buch zurück. Die Mädchen hatten sie an der aufregendsten Stelle unterbrochen, und sie hoffte, das Kapitel zu Ende lesen zu können, während die beiden sich im Spiegel betrachteten. Natürlich war Lesen am Arbeitsplatz streng untersagt, aber der Geschäftsführer war Mittag essen gegangen und der Wachmann eine rauchen – sie musste sich also keinen Zwang antun. Außerdem bedrängte man die Kunden lieber nicht. Sollten sich die Mädchen erst einmal ausgiebig bewundern, wer weiß, vielleicht kauften sie ja dann etwas. Sie sahen jedenfalls vielversprechend aus. Womöglich waren sie
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