Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Frage der Erziehung, sondern auch der Gene. Zum Glück kommen Garik und Lorik nach ihrer Mutter. Die beiden sind wirklich Prachtkerlchen. Wir haben nämlich gerade einen echten Schock erlebt.«
»Entschuldigen Sie, haben Sie hier auf dem Hof zufällig einen jungen Mann in hellblauen Jeans und weißen Turnschuhen gesehen?«, fragte Xenia rasch in die Pause hinein. »Blond, mittelgroß, etwa fünfunddreißig.«
»Von dem rede ich gerade!«, rief die Nachbarin und bleckte das bläuliche künstliche Gebiss. »Dieses Scheusal werde ich nie vergessen!« Sie packte den Griff des Kinderwagens und flüsterte Xenia unheilverkündend ins Gesicht: »Menschen, die fähig sind, ein Tier zu verletzen, sind überhaupt keine Menschen, die gehören vor Gericht gestellt und erschossen, jawohl!« Die Hunde auf ihrem Arm pflichteten ihr mit empörtem dünnem Gewinsel bei.
»Sie haben ihn also gesehen?«, fragte Xenia.
»Er hätte Garik beinahe totgetrampelt«, verkündete die Alte triumphierend. »Weiße Turnschuhe, hellblaue Jeans, dunkle Sonnenbrille. Er saß auf der Bank dort, hat geraucht und die Zigarettenkippe in den Sandkasten geworfen. Ich bin hin und habe ihn gerügt, und er wurde grob, ja obszön. Ich sagte, er sei ein Flegel und solle von unserem Hof verschwinden, sonst würde ich die Miliz rufen, und dann müsse er sich wegen Rowdytums und Beleidigung verantworten. Er wurde erneut grob und wollte mich sogar schlagen. Zum Glück bastelte Wassja Postyschew aus unserem Aufgang gerade an seinem Auto; er hat immer ein Mobiltelefon dabei. Ich rief ihm zu, er solle sofort die Miliz rufen, in unserem Hof sei ein Krimineller. Und stell dir vor, da ging dieser Mistkerl auf meine beiden Kleinen los! Zum Glück habe ich sofort reagiert und sie zurückgezogen. Aber Garik hat er trotzdem getreten. Da waren wir natürlich außer uns. Und der Mistkerl ist verschwunden.«
Vor Aufregung und Erschöpfung fragte die Nachbarin gar nicht, warum Xenia eigentlich nach dem Mistkerl mit den weißen Turnschuhen fragte.
»Danke.« Xenia fröstelte. »Auf Wiedersehen.«
Die Hunde kläfften freundlich, ihre Halterin nickte gleichmütig. Xenia rollte den Kinderwagen am Haus entlang, bog um die Ecke in eine Gasse und von dort auf eine belebte Straße.
Er will das Messer, nicht uns, wiederholte sie im Stillen immer wieder, wie eine Beschwörung. Warum sollte er uns töten, wenn er nur das Messer will?
Neunundzwanzigstes Kapitel
»Warja soll herkommen!«, befahl Pnyrja, sobald er in seinem bescheidenen Haus in Sokolniki eingetroffen war.
Vorsichtige Andeutungen, der Boss sei nicht mehr ganz richtig im Kopf, wurden in seiner Umgebung immer häufiger.Viele waren überzeugt, dass der Alte nur noch wenige Monate an der Macht bleiben würde; die Weitsichtigsten suchten die Freundschaft des Sicherheitschefs Pjotr Prichodko, eines fähigen, ernsthaften Mannes, der nach Meinung vieler als Einziger in alle Geheimnisse des Bosses eingeweiht war.
Neben den Bankkonten gab es noch etliche andere Geheimnisse. Zum Beispiel wusste niemand, was den Alten mit der schwarzhaarigen jungen Schönheit Warja Bogdanowa verband. Die einen behaupteten, Warja sei die letzte Liebe des Alten, andere meinten, sie sei in Wirklichkeit seine Tochter oder Enkelin, und sahen in ihr quasi die potentielle Erbin seines gewaltigen Kapitals. Sie war bei sämtlichen Festen in Sotschi dabei, wo der Alte manchmal Urlaub machte, weil er ausländische Ferienorte ablehnte.
Keiner seiner engsten Vertrauten wusste, wo Warja wohnte und mit wem sie zusammenlebte. Sie trug am Mittelfinger der rechten Hand einen schmalen Weißgoldring mit einem winzigen Brillanten, der aussah wie ein Ehering, woraus manche Neugierigen schlossen, dass sie verheiratet sei. Was allerdings der These vom Verhältnis mit Pnyrja widersprach.
Natürlich registrierten seine Leibwächter das besondere, gerührte Lächeln, mit dem der Alte Warja jedes Mal empfing. Seine Augen füllten sich mit warmer Nässe, seine Stimme wurde weich, seine Wangen röteten sich, und in solchen Momenten konnte man sich mit Fragen und Bitten an ihn wenden, für die er sonst jeden in Stücke gerissen hätte.
Deshalb wunderte sich niemand über seinen Befehl, die Schöne herzuholen. Doch keiner außer Pnyrja selbst hatte ihre Telefonnummer, was einer der Leibwächter dem Alten vorsichtig mitteilte. Pnyrja streckte die Hand aus, und der Leibwächter legte ein Handy hinein.
»Wo bist du gerade, Mädchen?«, krächzte Pnyrja in den Hörer.
»Im
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